Mit einer bewegenden Trauerfeier hat Spanien nach der Bahnkatastrophe von Santiago de Compostela der 79 Todesopfer gedacht. «Spanien und Galicien tragen Euch im Herzen», rief der Erzbischof von Santiago, Julián Barrio, am Montagabend in der Kathedrale des Pilgerorts im Nordwesten des Landes. Der Lokführer des Zuges wird sich wegen fahrlässiger Tötung in 79 Fällen vor Gericht verantworten müssen. Der 52-jährige Francisco José Garzón hatte am Sonntag vor dem Ermittlungsrichter eingeräumt, er habe beim Unglück unachtsam gehandelt.
Nach bisherigen Erkenntnissen fuhr Garzón am Mittwochabend wenige Kilometer vor der Einfahrt in den Bahnhof von Santiago seinen Zug in einer Tempo-80-Zone aus noch unbekannten Gründen mit 190 Kilometern pro Stunde in die Tragödie. Die Waggons des Zuges wurden bei dem Unglück auseinandergerissen und sprangen aus den Schienen.
«Es war ein harter Schlag, wir haben alle gelitten», sagte Barrio. An der Trauerfeier nahmen unter anderen der aus Santiago stammende Ministerpräsident Mariano Rajoy, Kronprinz Felipe und Gattin Letizia sowie Königstochter Elena teil. Sie alle umarmten und trösteten Hinterbliebene und Freunde der Opfer. Hunderte von Menschen verfolgten die Andacht in der Kathedrale sowie in der Nähe des Gebäudes, das über einer Grabstätte steht, die dem Apostel Jakobus zugeschrieben wird und Ziel des Jakobsweges ist. Zum Zeichen der Trauer begannen die Glocken lange vor Beginn der Messe zu läuten.
Weitere Todesopfer befürchtet
Die Behörden befürchteten, dass in den nächsten Tagen weitere Verletzte sterben könnten. Amtlichen Angaben zufolge wurden am Montagabend noch 69 Menschen in Krankenhäusern von Santiago behandelt. 22 von ihnen seien in kritischem Zustand, teilte die Regionalregierung von Galicien mit.
Nachdem er zur Vernehmung in Handschellen ins Gericht gebracht worden war, hatte Garzón erklärt, er habe vor der Unglückskurve viel zu spät gebremst. Wie Medien unter Berufung auf Ermittlerkreise weiter berichteten, sagte der Lokführer, es habe keinen technischen Fehler gegeben. Nach zweistündiger Vernehmung wurde der Eisenbahner unter Auflagen aus der U-Haft entlassen. Gemäß Richterbeschluss müsse er sich einmal in der Woche beim Gericht melden, hieß es. Dem Beschuldigten sei der Reisepass abgenommen worden. Zudem dürfe er zunächst sechs Monate lang keine Züge mehr fahren.
Garzón war bereits Donnerstag im Krankenhaus festgenommen worden. Am Freitag verweigerte er noch die Aussage. Auch das Angebot psychologischer Betreuung soll er zurückgewiesen haben. Einem Bericht der Zeitung «El Mundo» zufolge soll er kurz nach dem Unglück gesagt haben: «Ich habe es vermasselt, ich möchte sterben.» Spekulationen, dass Garzón zum Zeitpunkt des Unglücks mit seinem Handy telefoniert habe, hätten die Ermittler allerdings zurückgewiesen. Der Lokführer hatte sich bei dem Crash am Kopf verletzt.
Wie Medien unter Berufung auf Behörden berichteten, soll der Fahrtenschreiber des Zuges am Dienstag von einem Experten analysiert werden. Außerdem begann die Polizei damit, Überlebende zu befragen. Vorwürfe von Gewerkschaften, Medien und Kollegen des Lokführers, die Sicherheitssysteme an der engen Unglückskurve seien unzureichend, wies Verkehrsministerin Ana Pastor zurück. Das System erfülle alle spanischen und europäischen Vorschriften, sagte sie.
Der Chef der Eisenbahninfrastruktur-Behörde Adif, Gonzalo Ferre, erklärte, der Eisenbahner hätte den Bremsvorgang gemäß den Sicherheitsvorschriften schon vier Kilometer vor der Unfallstelle beginnen müssen. Ferre betonte, alle Sicherheitssysteme hätten funktioniert.
dpa/cd - Bild: Lavandeira Jr (afp)