Ägypten hat erneut eine blutige Nacht erlebt. Zehn Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi kamen am frühen Samstagmorgen nach Medizinerangaben in Nasr City in Kairo ums Leben. Ein Arzt machte für den Tod Sicherheitskräfte verantwortlich.
Wie der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira berichtete, wurden etwa 500 Menschen verletzt. Eine Bestätigung für die Opferzahlen von offizieller Seite gab es zunächst nicht. Zu der Gewalt sei es gekommen, als die Polizei gegen Demonstranten vorging, die die 6. Oktober-Brücke blockieren wollten, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Mena.
Bei Zusammenstößen in der Hafenstadt Alexandria wurden mindestens sieben Menschen getötet. Diese Zahl nannte am frühen Samstagmorgen das ägyptische Gesundheitsministerium nach Angaben von Al-Dschasira. Hunderttausende Gegner und Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi gingen am Freitag und in der Nacht zum Samstag im ganzen Land auf die Straße.
Innenminister Mohammed Ibrahim kündigte laut "Al-Ahram" in einem privaten Fernsehsender an, dass in Kürze die Pro-Mursi-Proteste in Giza vor der Kairoer Universität und in Nasr City "legal" aufgelöst werden sollten. Anwohner hätten sich über die Demonstrationen beschwert. Die Muslimbruderschaft, aus der Mursi kommt, bekräftigte unterdessen, sie wolle weiter friedlich für die Wiedereinsetzung des Präsidenten demonstrieren. Die Islamisten verweigern sich weiterhin einem Dialog mit der Übergangsregierung.
Ultimatum läuft ab
Hauptschauplatz der Kundgebungen zur Unterstützung des Militärs war der Tahrir-Platz im Herzen von Kairo. Hubschrauber kreisten im Tiefflug über den Demonstranten, die ihnen begeistert zujubelten. Feuerwerksraketen stiegen auf. Armeechef Abdel Fattah al-Sisi hatte am Mittwoch dazu aufgerufen, in "Millionenzahl" auf die Straße zu gehen, um ihm ein "Mandat zur Bekämpfung des Terrors" zu geben. Panzer sicherten die Zugänge. Plakate mit dem Bild Al-Sisis wurden verteilt, mit der Aufschrift: "Ich ermächtige das Militär und die Polizei dazu, gegen den Terrorismus zu kämpfen."
Auch vor der Kairoer Raba-al-Adawija-Moschee, dem Zentrum der Pro-Mursi-Proteste, versammelten sich Zehntausende. Sie riefen Parolen wie: "Weg mit Al-Sisi! Mursi ist mein Präsident!" Die Muslimbruderschaft sieht sich trotz ihrer Dauerproteste zunehmend in die Defensive gedrängt. Die dem Militär nahe stehenden Massenmedien stellen sie unmissverständlich als die angebliche Quelle des Terrors in Ägypten dar.
Am Wochenende könnte der Konflikt noch weiter eskalieren. Samstagabend läuft ein 48-Stunden-Ultimatum des Militärs ab: Die Islamisten sollen sich bis dahin am sogenannten Versöhnungsprozess beteiligen - sonst drohe eine härtere Gangart. Mursi, der bisher vom Militär an einem unbekannten Ort festgehalten wurde, sitzt seit Freitag auf richterliche Anweisung formell in Untersuchungshaft.
Das Militär hatte mit Mursi den ersten frei gewählten Präsidenten Ägyptens am 3. Juli nach tagelangen Massenprotesten gegen ihn abgesetzt. Seither haben die Behörden rund 600 Muslimbrüder verhaftet, unter ihnen den einflussreichen Vize-Vorsitzenden Chairat al-Schater. Die Islamisten sprechen von einem "Militärputsch" und wollen so lange protestieren, bis Mursi wieder im Amt ist.
USA: Keine Entscheidung - Hilfsgelder werden gezahlt
Washington will trotz der widersprüchlichen Lage im Nilland an seiner milliardenschweren Militärhilfe festhalten. Das Weiße Haus hat entschieden, auf eine Einschätzung zu verzichten, ob am Nil ein Militärputsch stattgefunden habe oder nicht. Wäre das der Fall, müsste die US-Regierung ihre Hilfen einfrieren. "Es ist nicht in unserem nationalen Interesse, eine solche Entscheidung zu treffen", sagte Jennifer Psaki, Sprecherin im US-Außenministerium. Auch das Gesetz schreibe nicht vor, eindeutig Stellung zu beziehen. Präsident Barack Obama sieht in einem Stopp der Hilfsgelder eine Gefahr für die Stabilität Ägyptens und damit auch für den Nachbarn und engen US-Verbündeten Israel.
dpa/sh - Bild: Fayez Nureldine (afp)