Die Rücktritte der beiden wichtigsten Minister der Mitte-Rechts-Regierung haben das Schuldenland Portugal ins Chaos gestürzt. Nachdem Ministerpräsident Pedro Passos Coelho am späten Dienstagabend eine Amtsniederlegung ausgeschlossen hatte, gingen in Lissabon und Porto in der Nacht zum Mittwoch Hunderte auf die Straßen, um die Absetzung des Regierungschefs zu fordern. Die Opposition und die Gewerkschaften bekräftigten ihre Forderung an Präsident Aníbal Cavaco Silva, so schnell wie möglich Neuwahlen auszurufen. Der größte Gewerkschaftsdachverband, der CGTP, kündigte für Samstag eine Massenkundgebung an, um Passos aus dem Amt zu jagen.
Aufgrund der politischen Turbulenzen erlebte die Börse in Lissabon am Mittwochvormittag mit einem Sturz des PSI20 um 6,2 Prozent den schlimmsten Handelsbeginn seit Oktober 1998. Die Kurse portugiesischer Staatsanleihen, aber auch von Papieren anderer europäischer Krisenländer wie Italien und Spanien, gerieten massiv unter Druck. "Die Situation des Landes ist inzwischen unhaltbar, nun müssen die Bürger an den Urnen zu Wort kommen", forderte der sozialistische Oppositionsführer António Seguro.
Präsident Cavaco beraumt Treffen mit Passos an
Unter dem Eindruck der Ereignisse beraumte Cavaco ein Treffen mit Passos an. Das Staatsoberhaupt werde am Donnerstag die Lage zunächst mit dem Regierungschef und anschließend mit Vertretern der im Parlament vertretenen Parteien erörtern, teilte das Präsidialamt mit. Bisher hatte Cavaco, der der Sozialdemokratischen Partei (PSD) von Passos angehört, Neuwahlen ausgeschlossen. Wer ein Ende der Regierung wolle, solle im Parlament einen Misstrauensantrag stellen, hatte er erst vor wenigen Tagen gesagt.
Passos schloss eine freiwillige Amtsniederlegung mit den Worten aus: "Ich trete nicht zurück, ich lasse mein Land nicht im Stich." "Wir haben noch viel Arbeit vor uns und wollen die Früchte ernten, die wir mit so viel Mühe gesät haben", fügte der 48-Jährige an.
Schon am Montag war Finanzminister Vítor Gaspar, der Architekt der harten Sparpolitik und starke Mann im Kabinett, zurückgetreten. Gaspar begründete seine Entscheidung mit der abnehmenden Unterstützung auch innerhalb der Regierung. Am Dienstag stellte dann auch Außenminister Paulo Portas sein Amt zur Verfügung. Er verlasse die Regierung, weil er mit der aktuellen Politik nicht einverstanden sei, teilte Portas mit.
Der Rücktritt Portas' war deshalb schwerwiegender, weil der 50-Jährige der Chef des Demokratischen und Sozialen Zentrums (CDS), des konservativen Koalitionspartners der PSD, ist. Ohne die Unterstützung des CDS würde die Regierung ihre absolute Mehrheit im Parlament verlieren.
Neue Einsparungen beschließen
Die Rücktritte erfolgen in einer Phase, in der Portugal neue Einsparungen beschließen muss, um die Vorgaben der Geldgeber von EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Weltwährungsfonds (IWF) zu erfüllen. Als Gegenleistung für das 2011 gewährte 78 Milliarden Euro schwere Hilfspaket verpflichtete sich Portugal zu einem strengen Sparkurs. Die Arbeitslosenquote kletterte auf das Rekordniveau von mehr als 18 Prozent, das ärmste Land Westeuropas steuert auf das dritte Rezessionsjahr in Folge zu.
An den europäischen Finanzmärkten ist die Schuldenkrise mit Wucht zurückgekehrt. Die Kurse portugiesischer Staatsanleihen gerieten am Mittwoch infolge der schweren Regierungskrise in Lissabon massiv unter Druck. Im Gegenzug stieg der Zinssatz für richtungsweisende zehnjährige Anleihen erstmals im laufenden Jahr wieder über die Marke von sieben Prozent. eine enorme Belastung für das angeschlagene Euroland. Die Nervosität wurde zudem durch die wiederaufflammende Diskussion über einen Schuldenerlass für Griechenland geschürt. Das trug an den wichtigsten Börsen in Europa zu kräftigen Verlusten bei. Auch der Euro geriet unter Druck.
Portugal steht derzeit unter dem Euro-Rettungsschirm und ist deswegen nicht auf die Kreditaufnahme am Anleihemarkt angewiesen. Allerdings will sich das Land im Laufe des nächsten Jahres wieder selbstständig refinanzieren. Die hohe Nervosität der Anleger zeigt, wie stark das Vorhaben von der politischen Stabilität abhängt. Zeitweise sprang die Rendite zehnjährigen Papiere in der Spitze um deutlich mehr als einen Prozentpunkt auf bis zu 7,77 Prozent. Das ist der höchste Wert seit Mitte November vergangenen Jahres. Der Leitindex an der Börse in Lissabon brach ein.
Größte Schwäche des Anleihekaufprogramms der EZB
Nach Einschätzung der Experten zeigt der rasante Anstieg der Zinssätze die größte Schwäche des Anleihekaufprogramms der Europäischen Zentralbank (EZB). Seit Mitte 2012 hatte die EZB mit dem sogenannten OMT-Programm die Panik an den Anleihemärkten eindämmen können, indem sie unbegrenzt Anleihekäufe versprach. Sie verlangte zugleich aber Reformen und Ausgabendisziplin.
Neben Portugal sorgt die Lage im Euro-Krisenland Griechenland für zusätzliche Nervosität bei den Anlegern. Hier machen die öffentlichen Geldgeber Druck, weil es bei der Umsetzung vereinbarter Reformen hapert. Auch die Bundesregierung drängt zu weiteren Reformschritten. Zudem kommt die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) angestoßene Debatte um eine abermalige Schuldenerleichterung für Athen nicht aus den Schlagzeilen.
Neben portugiesischen Anleihen gerieten zur Wochenmitte auch Schuldpapiere der Euro-Krisenländer Spanien und Italien unter Druck. Die Rendite für zehnjährige Papiere aus Spanien stieg um 0,13 Prozentpunkte auf 4,74 Prozent, die Rendite italienischer Titel erhöhte sich um 0,12 Prozentpunkte auf 4,55 Prozent. Dagegen profitierten die als besonders sicher geltenden deutschen Bundesanleihen von der angespannten Lage. Die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe sank um 0,07 Prozentpunkte auf 1,63 Prozent.
dpa/reuters/jp/mh - Bild: Patricia De Melo Moreira (afp)