Ägyptens Armee hat vor Ablauf eines Ultimatums an Gegner und Anhänger von Präsident Mohammed Mursi einen letzten Versuch unternommen, die dramatische Lage zu entschärfen. Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi lud die Konfliktparteien in Kairo zu einem Krisentreffen ein. Erwartet wurden Oppositionsführer Mohammed ElBaradei sowie Vertreter der Muslimbrüder, der Protestbewegung "Tamarud", der Salafisten und der Geistlichkeit, wie die staatliche Zeitung "Al-Ahram" online berichtete. Bei Auseinandersetzungen zwischen Opposition und Mursi-Anhängern gab es zuvor mindestens 22 Tote und viele Verletzte.
Mursi, der seine religiösen und politischen Wurzeln in der Muslimbruderschaft hat, zeigte sich weiter nicht kompromissbereit. Er sei auf legitime Weise gewählt und werde sich dem Druck nicht beugen, sagte er in der Nacht in einer Fernsehansprache.
Der Sprecher der regierenden Muslimbruderschaft, Gehad al-Haddad, bekräftigte den Widerstand der Islamisten gegen eine Entmachtung Mursis. "Der einzige Plan, den die Menschen angesichts eines Putschversuchs haben, ist, sich vor die Panzer zu stellen", erklärte er am Mittwoch über den Kurznachrichtendienst Twitter.
Das Militär hatte Mursi bis zum Mittwochnachmittag Zeit gegeben, einen Ausweg aus der Krise zu weisen, etwa durch vorgezogene Präsidentschaftswahlen. Das Militär ist gewillt, einen Fahrplan für Neuwahlen durchzusetzen, falls Mursi nicht handelt. Den Zeitpunkt für eine Erklärung zum weiteren Vorgehen hielt sich die Armee noch offen. Auf der offizielle Facebookseite teilte ein Sprecher mit, wann es eine Rede oder eine Erklärung geben werde, stehe noch nicht fest.
Aktivisten auf dem Kairoer Tahrir-Platz
Auf dem Kairoer Tahrir-Platz, dem zentralen Protestort der Opposition, sammelten sich Aktivisten. Es herrschte eine feierliche Stimmung - viele rechneten mit dem Sturz des islamistischen Staatschefs aus den Reihen der Muslimbrüder. Mursis Unterstützer kamen im Stadtteil Nasr-City zusammen. Die Polizei nahm derweil Leibwächter des Vorsitzenden der Muslimbrüder, Mohammed Badia, fest.
Die ägyptische Zentralbank ordnete laut Staatsfernsehen die Schließung aller Geldinstitute im Land an. Am Donnerstag sollen sie aber mehrere Stunden wieder öffnen. Die Zeitung "Al-Ahram" berichtete in ihrer Online-Ausgabe, dass die Banken dann zwischen 8:30 Uhr und 13:00 Uhr geöffnet sein sollten. Demnach sollten auch Einschränkungen bei Geldtransfers ins Ausland aufrechterhalten bleiben, die seit dem Arabischen Frühling und dem Sturz von Langzeitpräsident Husni Mubarak im Februar 2011 bestehen.
Seit mehreren Tagen erschüttern massive Proteste für und gegen Mursi das Land. Bei Zusammenstößen zwischen Gegnern und Anhängern des Staatsoberhaupts starben Dutzende Menschen, allein in der Nacht zum Mittwoch gab es in Kairo mindestens 22 Tote. Die Armee kündigte in der Nacht über das soziale Netzwerk Facebook an, sie kämpfe gegen die, die das Volk verängstigten. Sie werde Terroristen und Extremisten bekämpfen und ihr Blut für Ägypten opfern.
Mursi kündigte eine Reihe von Maßnahmen an, um sich mit seinen Gegnern zu verständigen, darunter auch eine Regierungsumbildung. Der Präsident rief seine Landsleute auf, nicht die Konfrontation mit den Streitkräften zu suchen oder Gewalt anzuwenden. Er gab Fehler zu und versprach, sie zu korrigieren. Mursi machte die Korruption und "Überbleibsel des alten Regimes" von Langzeitherrscher Husni Mubarak für die Missstände im Land verantwortlich.
Die Protestbewegung kritisiert den Präsidenten wegen seines autoritären Führungsstils, einer fortschreitenden Islamisierung im Land und auch wegen einer dramatisch verschlechterten Wirtschaftslage. Mursis Anhänger sehen die Krise als ideologischen Machtkampf - für oder gegen den Islam. Seit Sonntag ist Mursi ein Jahr im Amt. Die Muslimbruderschaft war sowohl aus der Parlaments- als auch der Präsidentenwahl als stärkste Kraft hervorgegangen.
Militär hat eigenen Fahrplan für Neuwahlen
Das Militär hatte angekündigt, seinen eigenen Fahrplan für Neuwahlen durchzusetzen, falls Mursi nicht handelt. "Al-Ahram" veröffentlichte am Mittwoch Einzelheiten daraus: Demnach würde das Militär die derzeit geltende islamistische Verfassung aussetzen und eine Übergangsregierung einsetzen. Dies liefe auf die Entmachtung Mursis hinaus.
Mursi betonte derweil erneut, er sei durch demokratische Wahlen ins Amt gekommen. "An dieser Legitimierung halte ich fest", sagte er in der Nacht zum Mittwoch in einer vom Fernsehen übertragenen Rede. Er kündigte eine Reihe von Maßnahmen an, um sich mit seinen Gegnern zu verständigen, darunter auch eine Regierungsumbildung. Mursi rief seine Landsleute auf, nicht die Konfrontation mit den Streitkräften zu suchen oder Gewalt anzuwenden. Er gab Fehler zu und versprach, sie zu korrigieren. Mursi machte die Korruption und "Überbleibsel des alten Regimes" von Langzeitherrscher Husni Mubarak für die Missstände im Land verantwortlich.
Die Protestbewegung kritisiert den Präsidenten wegen seines autoritären Führungsstils, einer fortschreitenden Islamisierung im Land und auch wegen einer dramatisch verschlechterten Wirtschaftslage. Mursis Anhänger sehen die Krise als ideologischen Machtkampf - für oder gegen den Islam. Sie wollen sich gegen eine Entmachtung wehren. Die Gegner des Präsidenten drohen ebenfalls mit weiteren Aktionen - allen voran die Protestbewegung "Tamarud". Die Gruppierung hatte seit Anfang Mai nach eigenen Angaben mehr als 22 Millionen Unterschriften gegen den Staatschef gesammelt.
Seit Sonntag ist Mursi ein Jahr im Amt. Die Muslimbruderschaft war sowohl aus der Parlaments- als auch der Präsidentenwahl als stärkste Kraft hervorgegangen. Mursi war am Dienstag erneut mit Armeechef und Verteidigungsminister General Abdel Fattah al-Sisi sowie Regierungschef Hischam Kandil zu einer Krisensitzung zusammengekommen. Einzelheiten der Unterredung wurden nicht bekannt.
Auf das Armee-Ultimatum hatte der Präsident zuvor sehr verärgert reagiert. Nach Angaben der Zeitung "Al Ahram" beklagte das Präsidialamt, dass Mursi im Vorfeld nicht konsultiert worden sei. Das Vorgehen der Militärs verdeutlicht die Sonderstellung der Armee, die in Ägypten wie ein Staat im Staate agiert. Die Armee wies derweil die Vorwürfe eines Putsches zurück und betonte, lediglich eine Lösung der Krise forcieren zu wollen.
Gegner drohen mit weiteren Aktionen
Die Gegner des Präsidenten drohen mit weiteren Aktionen - allen voran die Protestbewegung "Tamarud". Die Gruppierung hatte seit Anfang Mai nach eigenen Angaben mehr als 22 Millionen Unterschriften gegen Mursi gesammelt.
US-Präsident Barack Obama forderte den ägyptischen Staatschef in einem Telefongespräch auf, auf die Opposition zugehen. Das Weiße Haus teilte mit, Obama habe unterstrichen, die gegenwärtige Krise sei nur in einem politischen Prozess zu lösen. Demokratie bedeute mehr als Wahlen. "Es geht auch darum, dass die Stimmen aller Ägypter gehört und von der Regierung repräsentiert werden."
Die Unruhen verschlechtern inzwischen mehr und mehr die Wirtschaftslage, lassen die Zahl der Arbeitslosen und die Kriminalität steigen. Die Währungsreserven schrumpfen. Es gibt Engpässe bei der Versorgung mit Benzin und anderen Waren. Seit Sonntag ist Mursi als erster freigewählter Präsident des Landes ein Jahr im Amt. Die Muslimbruderschaft war sowohl aus der Parlaments- als auch der Präsidentenwahl als stärkste Kraft hervorgegangen.
Im Machtkampf musste Mursi zudem eine juristische Schlappe hinnehmen. Das höchste Kassationsgericht erklärte die Ernennung von Talaat Abdullah zum Generalstaatsanwalt durch das Staatsoberhaupt für ungültig. Die Richter ordneten die Rückkehr des im November 2012 entlassenen obersten Strafverfolgers Abdel Meguid Mahmud an.
Außerdem laufen Mursi die Minister weg. Nachdem am Montag bereits fünf Minister ihren Rücktritt eingereicht hatten, folgte Außenminister Mohammed Kamel Amr.
Außenministerium gibt keine Reisewarnung für Ägypten
Das Außenministerium in Brüssel spricht trotz der angespannten Lage in Ägypten keine Reisewarnung für das Land aus. Wohl aber empfiehlt es Touristen, Großstädte wie Kairo zu meiden und allgemein sehr vorsichtig zu sein.
Vor Reisen in die Urlaubsgebiete an den Küsten wolle man derzeit nicht abraten, sagte Außenminister Didier Reynders am Mittwochmorgen im flämischen Rundfunk. Touristen sollten jedoch nicht individuell, sondern eher in Gruppen reisen.
dpa/vrt/jp/mh - Bild: Gianluigi Guercia (afp)