Die Machtprobe zwischen Anhängern und Gegnern des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi treibt Ägypten immer mehr ins politische und wirtschaftliche Chaos. Die Muslimbruderschaft, in der Mursi seine Wurzeln hat, wehrt sich gegen eine Entmachtung. Das Präsidialamt kritisierte am Dienstag ein Ultimatum der Militärführung, wonach sich Muslimbrüder und Opposition bis zum Mittwoch auf eine Lösung des Konfliktes einigen sollen. Anderenfalls will die Armee einen eigenen Fahrplan aus der Krise vorlegen.
Zuvor hatte die Opposition bereits Mursi aufgefordert, bis zum Dienstagnachmittag 17.00 Uhr MESZ sein Amt niederzulegen. Auch die Islamisten der salafistischen Nur-Partei stellen sich nun offen gegen Mursi und rufen laut Medienbericht zu vorgezogenen Präsidentenwahlen auf.
Die Protestbewegung kritisiert Mursi wegen seines autoritären Führungsstil, einer fortschreitenden Islamisierung im Land und nicht zuletzt auch wegen einer dramatisch verschlechterten Wirtschaftslage. Mursis Anhänger sehen die Krise als ideologischen Machtkampf - für oder gegen den Islam.
Noch keine Lösung des Konflikts
Ein Tag vor Ablaufen des Ultimatums der Armeeführung zeichnete sich keine Lösung des Konflikts zwischen Muslimbrüdern, Protestbewegung und dem Militär ab. Islamisten planen landesweite Proteste gegen einen Putsch. Ein Bündnis aus einflussreichen islamistischen Politikern und Geistlichen rief die Ägypter in allen Provinzen auf, die legitime Führung im Land zu verteidigen. "Jeder Putsch gegen die legitime Regierung und Verfassung wird das Land in Chaos und eine ungewisse Zukunft stürzen", erklärten die Islamisten der Allianz zur Unterstützung der Legitimität.
Auch die Gegner des islamistischen Präsidenten drohen mit weiteren Aktionen, falls Mursi nicht bis zum Dienstagnachmittag seinen Rücktritt erklären sollte. Die Protestbewegung "Tamarud" kündigte weiteren Aktionen an. Seit Anfang Mai hatte die Gruppierung nach eigenen Angaben mehr als 22 Millionen Unterschriften gegen den Präsidenten gesammelt.
Obama ruft Mursi zu Kompromissbereitschaft auf
US-Präsident Barack Obama hat den ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi in einem Telefongespräch dazu aufgerufen, auf die Opposition zuzugehen. "Präsident Obama ermutigte Mursi, Schritte zu unternehmen und zu zeigen, dass er auf deren Sorgen reagiert", teilte das Weiße Haus nach dem Telefonat am Montag mit. Obama habe unterstrichen, dass die gegenwärtige Krise nur in einem politischen Prozess gelöst werden könne. Die USA würden keine Partei oder politische Richtung in Ägypten unterstützen, sondern die Demokratie. Demokratie aber bedeute mehr als Wahlen.
"Es geht auch darum, dass die Stimmen aller Ägypter gehört und von der Regierung repräsentiert werden", sagte Obama den Angaben zufolge. Er habe im Gespräch mit Mursi erneut seine tiefe Sorge über Gewalt bei den Demonstrationen betont, besonders angesichts sexueller Übergriffe auf Frauen. Mursi müsse seinen Anhängern klarmachen, dass jede Form von Gewalt unakzeptabel sei. Zudem müssten die ägyptischen Sicherheitskräfte US-Einrichtungen im Land schützen.
Mursi reagierte am Montag sehr verärgert auf das Ultimatum der Armeeführung. Nach Angaben der Zeitung "Al Ahram" beklagte das Präsidialamt, dass der Präsident im Vorfeld nicht konsultiert worden sei. Das Vorgehen der Militärs verdeutlicht die Sonderstellung der Armee, die in Ägypten wie ein Staat im Staate agiert.
Vorwürfe eines Putsches zurückgewiesen
Die Armee wies die Vorwürfe eines Putsches zurück und betonte, lediglich eine Lösung der Krise forcieren zu wollen. Die andauernden Unruhen haben auch zu einer sich dramatisch verschlechternden Wirtschaftslage, wachsender Arbeitslosigkeit und steigender Kriminalität geführt. Die Währungsreserven schrumpfen. Es gibt immer mehr Engpässe bei der Versorgung mit Benzin und anderen Waren. Das Land braucht eine stabile Regierung, um Wirtschaftsreformen angehen zu können.
Seit Sonntag ist Mursi als erster freigewählter Präsident des Landes ein Jahr im Amt. Die Muslimbruderschaft war sowohl aus der Parlaments- als auch der Präsidentenwahl als stärkste Kraft hervorgegangen.
Mitten im Machtkampf mit der Opposition muss Mursi zudem eine schwere juristische Schlappe hinnehmen. Das höchste Kassationsgericht erklärte die Ernennung von Talaat Abdullah zum Generalstaatsanwalt durch das Staatsoberhaupt für ungültig. Die Richter ordneten zudem die Rückkehr des im November 2012 entlassenen obersten Strafverfolgers Abdel Meguid Mahmud an.
Außerdem laufen Mursi die Minister weg. Nachdem nach Angaben aus Regierungskreisen am Montag bereits fünf Minister ihren Rücktritt eingereicht hatten, folgte Außenminister Mohammed Kamel Amr in der Nacht zum Dienstag.
dpa/sh - Bild: Ägyptische Präsidentschaft (afp)