Die Aussichten auf eine Wiederbelebung der eingefrorenen EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind gestiegen. Bei einem Treffen in Luxemburg schlugen mehrere Außenminister der EU-Staaten am Montag moderate Töne gegenüber Ankara an. Es geht um Verhandlungen über einen neuen Themenbereich ("Verhandlungskapitel") mit der Türkei vor dem Hintergrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste in dem Land.
Seit mehreren Wochen kommt es in der Türkei zu landesweiten Demonstrationen gegen die Regierung. Sie entzündeten sich ursprünglich an Plänen, einen Park in Istanbul zu bebauen.
Didier Reynders forderte, gerade angesichts der Gewalt in Istanbul müsse die EU die weitere Annäherung der Türkei an europäische Standards vorantreiben. "Wenn wir über Verhandlungskapitel diskutierten, dann könnten wir sehr viel direkter über eine Reihe von Prinzipien mit der Türkei sprechen", sagte Reynders. Diese Meinung vertraten auch Jean Asselborn (Luxemburg) und Carl Bildt (Schweden).
Bildt sagte, die EU verfolge mit ihrer Politik strategische Ziele. Das seit nichts, was hier oder dort Gegenstand kurzfristiger Launen sein sollte. Man könne "die Strategie der EU nicht ändern, weil es da oder dort Nervosität gibt. So kann man keine verantwortungsvolle europäische Politik betreiben. In unterschiedlichen Ländern passieren alle möglichen Dinge." Asselborn warnte vor einem Stillstand im Verhältnis zur Türkei.
Der niederländische Außenminister Frans Timmermans, dessen Regierung in den vergangenen Wochen gemeinsam mit der deutschen als Zentrum des Widerstands gegen intensivere Verhandlungen genannt worden war, schwieg zu dem Thema - es stehe nicht auf der Tagesordnung. Die Eskalation in der Türkei sei "alles andere als gut gewesen", formulierte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle. "Auf der anderen Seite ist aber ebenso klar, dass wir den Gesprächsfaden weder abreißen lassen sollten noch, dass wir ihn ausdünnen."
Die EU wollte ursprünglich am Mittwoch das 14. von 35 "Verhandlungskapiteln" mit der Türkei eröffnen. Dabei geht es um Regionalpolitik. Eine Entscheidung darüber soll voraussichtlich am Dienstag fallen. Am kritischsten zeigte sich der österreichische Außenminister Michael Spindelegger: "Ich denke im Moment, dass es eine Bewegung vonseiten der Türkei geben muss, bevor wir ein neues Kapitel aufmachen."
Erdogan lobt Polizei: "Demokratietest erfolgreich bestanden"
Ungeachtet internationaler Kritik am harten Vorgehen gegen Demonstranten in der Türkei hat Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die Polizisten als Helden gelobt. "Unsere Polizei hat einen sehr wichtigen, sehr schwierigen Demokratietest erfolgreich bestanden", sagte Erdogan nach türkischen Medienberichten am Montag in der Polizeiakademie in Ankara.
Erdogan verglich das Vorgehen der Polizisten angesichts der "Provokationen" mit einem "Heldenepos". Sie hätten bei den seit mehr als drei Wochen andauernden Protesten "geduldig und gemäßigt" gehandelt.
Der Sender CNN Türk meldete am Montag weitere Festnahmen von Demonstranten in der Hafenstadt Izmir.
dpa/km - Bild: Geertje De Waegeneer (belga)