Brüssel ist seit einiger Zeit Schauplatz eines wahren Polit-Thrillers. Angefangen hatte alles mit dem spektakulären Rücktritt des EU-Kommissars John Dalli Mitte Oktober vergangenen Jahres. Dem Mann aus Malta wurde Korruption vorgeworfen.
Jetzt werden aber die Jäger zu Gejagten: Plötzlich steht auch die EU-Anti-Betrugsbehörde OLAF am Pranger. Immer mehr glauben, John Dalli sei in der Tat das Opfer einer Verschwörung.
John Dalli war für Gesundheitspolitik zuständig. Am 16. Oktober gab er abends kurzfristig eine Pressekonferenz und kündigte seinen Rücktritt an. Danach fiel dann das Wort Korruption. Kurz zusammengefasst: Dalli soll der Tabak-Industrie zu nahe gestanden haben.
Im Mittelpunkt steht das schwedische Unternehmen "Swedish Match", das Lutschtabak produziert. Und anscheinend wurde der Firma angeboten, dass man gegen Geld einen Kontakt zu Dalli herstellt, um den EU-Kommissar dazu zu bringen, eine Gesundheitsrichtlinie abzuschwächen. Und Dalli soll davon gewusst haben.
Schon damals hat man sich die Frage gestellt: Wurde Dalli vielleicht in eine Falle gelockt? Fakt ist: Die Justiz in Malta hat das Ermittlungsverfahren gegen Dalli eingestellt. Und Dalli selbst klagt jetzt vor Gericht gegen seine Entlassung.
OLAF-Chef Kessler angehört
Die Korruptionsvorwürfe kamen ursprünglich von der EU-Anti-Betrugsbehörde OLAF, die die Ermittlungen geführt hatte. Nun steht die Frage im Raum, ob es Anlass gibt, an den Ergebnissen der Untersuchung zu zweifeln. EU-Parlamentarier sprechen schon vom "größten Skandal, den wir seit Jahren hatten". Tatsache ist: Am Dienstag wurde der Chef von OLAF, der Italiener Giovanni Kessler, von einem Ausschuss des EU-Parlaments angehört.
Kessler stellte klar, dass die Untersuchung absolut unabhängig und professionell verlaufen sei. Es habe keinen Druck von außen gegeben, und darauf sei er stolz, sagte Kessler vor dem Ausschuss. Aber warum muss man dennoch Zweifel an der Qualität der Ermittlungsergebnisse haben? Nun, OLAF hätte von Anfang an gesagt, dass es keinen schlagenden Beweis gebe, dass Dalli sich strafbar gemacht hat, erklärte Kessler. Und die Indizien, über die man verfüge, habe man bewusst nicht veröffentlicht, um die Rechte von John Dalli nicht zu verletzen ...
Warum musste der Kommissar dennoch zurücktreten? Die Begründung dafür klingt ein bisschen hanebüchen: Vielleicht gab es strafrechtlich gesehen keine Beweise gegen Dalli, es gebe aber Gründe, warum Dalli politisch nicht mehr tragbar war, so OLAF-Chef Kessler. Und in diesen Fragen gebe es eindeutige Beweise, die Dalli selber auch zugegeben hat. Was Kessler sagen will ist wohl: Der EU-Kommissar stand gewissen Leuten zu nahe, war womöglich auch mit den falschen Leuten einmal essen. Und allein deswegen war er politisch eben nicht mehr haltbar.
Den Abgeordneten war das alles aber zu unvollständig. Der Vorsitzende des haushaltspolitischen Ausschusses, Michael Theurer, hat das auch genauso klargemacht. Der Verdacht, dass OLAF Beweise verbogen hat, steht deshalb auch weiter im Raum. Es heißt sogar, die Betrugsbehörde habe sich zum Handlanger der Tabakindustrie gemacht, um einen störenden Kommissar loszuwerden. Es bleibt auch dabei, dass viele Abgeordnete den Rücktritt von Giovanni Kessler verlangen. Die Geschichte ist wohl noch längst nicht vorbei.
Archivbild: Georges Gobet (afp)