Das Hochwasser der Elbe hat Magdeburg noch wesentlich stärker getroffen als befürchtet und überflutete allmählich Teile der Stadt. Die Pegel stiegen am Sonntag auf historische Rekordstände. Die Bundeswehr versuchte mit 700 Soldaten, das Umspannwerk im Stadtteil Rothensee und damit die Stromversorgung in Betrieb zu halten. Rund 23.000 Bewohner in östlichen Stadtteilen wurden am Sonntagnachmittag aufgefordert, vorsorglich ihre Wohnungen zu verlassen.
Der Katastrophenstab der Stadt habe sich zur Räumung der östlichen Stadtteile entschieden, weil der Hochwasserscheitel eine Länge von rund 40 Kilometern habe und mehrere Tage gegen die Deiche drücken werde, teilte der Krisenstab der Landesregierung mit. Betroffen sind rund zehn Prozent der Bevölkerung Magdeburgs.
Am Sonntag lag der Pegelstand an der Strombrücke in der Innenstadt von Magdeburg bei rund 7,45 Meter. Das sind 25 Zentimeter mehr als erwartet und rund 70 Zentimeter höher als beim Jahrhunderthochwasser 2002. Experten gingen von einem weiteren Anstieg um fünf bis zehn Zentimeter bis zum Abend aus.
Der Stadtteil Rothensee, bekannt für seinen Güterhafen und zahlreiche Industrieanlagen, war zuvor bereits wegen des eindringenden Wassers geräumt worden. Davon waren 3000 Bewohner betroffen. Die Bundeswehr brachte einige Menschen noch mit Transportpanzern in Sicherheit und errichtete mit 700 Soldaten rund um das Umspannwerk einen Deich.
Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) bat die Bürger, den Aufforderungen zur Räumung von einzelnen Stadtteilen Folge zu leisten. "Wir müssen auf alles gefasst sein", schrieb er in einem offenen Brief. Auch der Stadtteil Werder, der auf einer Insel in der Elbe liegt, war schwer von dem Hochwasser getroffen. Die Pumpen liefen dort auf Hochtouren.
In den Stadtteilen im Osten der Stadt hofften die Menschen, dass Deiche an einem Umflutungskanal halten und das Hochwasser nicht über die Kanalisation eindringt. Die Stadt richtete Notquartiere ein, zahlreiche Straßen waren gesperrt, Straßenbahnlinien eingestellt. In den kommenden Tagen soll sich der Hochwasser-Scheitel langsam in den Norden des Landes verlagern, wo ebenfalls Katastrophenalarm herrscht.
Die Elbe steigt und steigt
Zehntausende Menschen wissen nicht, wann sie zurück in ihre überschwemmten Häuser dürfen. Dazu kamen am Sonntag neue Unwetter: In Sachsen fielen extreme Mengen Regen und Hagel.
Bundespräsident Joachim Gauck sprach den Hochwasser-Opfern sein Mitgefühl aus. Er besuchte am Sonntag Hochwassergebiete an der Saale und Elbe. "Man kann sich nicht vorstellen, was da alles zu bewältigen ist", sagte er. In der Marktkirche in Halle gedachte er gemeinsam mit Hunderten Menschen der Opfer der Flutkatastrophe, die ihr Leben und ihr Hab und Gut verloren haben. Zugleich machte er den Menschen Mut: "Dass wir es wieder packen, das haben wir auch bei der Flut 2002 bewiesen."
Wo wie etwa in Sachsen das Wasser schon wieder abfloss, blieben stinkender Schlamm und Sperrmüllberge zurück. Viele Anwohner zeigten sich fassungslos. Bundeskanzlerin Angela Merkel versprach am Samstag, man werde alles für den Wiederaufbau tun. "Deutschland steht in bewundernswerter Weise zusammen in diesen Tagen - und das soll auch so bleiben." Politiker forderten, Hochwasserschutzbauten schneller zu genehmigen und Veto-Möglichkeiten zu begrenzen.
Deutschlandweit stemmen sich weiterhin rund 70.000 Feuerwehrleute und 11.000 Bundeswehrsoldaten gegen die Flut. Der Deutsche Feuerwehrverbands-Präsident Hans-Peter Kröger drohte Katastrophentouristen damit, auch sie zur Mithilfe zu verpflichten. Mindestens sieben Menschen starben, mehrere werden vermisst.
Hochwassersituation vom Wochenende im Überblick
SACHSEN-ANHALT: Vor allem in der Landeshauptstadt Magdeburg wurde die Situation immer kritischer. Die Elbe erreichte dort am Sonntagmorgen noch viel höhere Stände als erwartet, und es wird Tage dauern, bis der Pegel deutlich sinkt. Rund 23.000 Bewohner in östlichen Stadtteilen sollten ihre Wohnungen verlassen. Einsatzkräfte kämpften um ein Umspannwerk, das für die Stromversorgung der Stadt wichtig ist. "Wir müssen auf alles gefasst sein", sagte Oberbürgermeister Lutz Trümper. Dramatisch zugespitzt hatte sich nach einem Dammbruch auch die Lage unweit von Barby, wo das Hochwasser der Saale auf das Hochwasser der Elbe prallt.
In der Chemiestadt Bitterfeld konnten hingegen 10.000 Bewohner in ihre Wohnungen zurückkehren, nachdem ein Deich abgedichtet wurde. Für Unruhe sorgte ein Schreiben, in dem Unbekannte mit Anschlägen auf Deiche drohten. "Wir nehmen das Bekennerschreiben ernst", sagte Innenminister Holger Stahlknecht (CDU). Die Deiche würden nun verstärkt überwacht.
BRANDENBURG: Nord-Brandenburg steht das Schlimmste noch bevor. In Wittenberge stand die Elbe am Sonntag mit 7,77 Metern schon knapp 35 Zentimeter höher als 2002. Am Dienstag werden 8,10 Meter erwartet. Riesige Polder wurden geöffnet, um den Wasserstand der Elbe zumindest etwas zu senken. Lautsprecherwagen der Polizei forderten die Einwohner auf, ihre Wohnungen zu verlassen. Den Einsatzkräften stehe ein tagelanger Kampf bevor, hieß es.
SCHLESWIG-HOLSTEIN/NIEDERSACHSEN/MECKLENBURG-VORPOMMERN: In Norddeutschland hat sich die Hoffnung zerschlagen, diesmal glimpflich davonzukommen. Am Mittwoch und Donnerstag sollen Rekord-Wasserstände erreicht werden. Wegen des steigenden Pegels gingen in Hitzacker Ordnungsamts-Mitarbeiter von Haus zu Haus und forderten die Anwohner auf, sich in Sicherheit zu bringen. Im Wendland wurden Freiwillige gesucht, die Sandsack befüllen. Einsatzkräfte stapelten Sandsäcke auf die Deiche. Die Bundeswehr schickte Soldaten zur Verstärkung.
SACHSEN: Sachsen hat das Schlimmste zwar schon überstanden, doch das Wasser sinkt nur langsam und drückt weiterhin auf die Deiche. Rund 13.000 Menschen sind nach wie vor von Evakuierungen betroffen. Unterdessen ging über Teilen des Landes ein heftiges Unwetter nieder, nach Anhaben der Behörden lag der Hagel teilweise einen Meter hoch. Für die Elbe soll das aber nicht gefährlich werden. Dort gingen die Aufräumarbeiten weiter. Hoteliers klagten über Stornierungen, selbst für den weit entfernten Sommerurlaub.
BAYERN: An der Donau ist das Hochwasser weitgehend überstanden - doch zurück bleiben Unmengen Schlamm. "Es ist eine stinkende Brühe", sagte ein Stadtsprecher in Deggendorf. Bewohner schaufelten die Überreste der Flut aus ihren Häusern. Die Stadt schätzt den Schaden auf rund 500 Millionen Euro. In einer Schule stapelten sich gespendete Kleidung, Schuhe und Zahnbürsten. Bäckereien brachten Kuchen. Die Anteilnahme sei unglaublich, sagte Schulleiter Robert Seif. "Die Flutkatastrophe schweißt die Menschen im Raum Deggendorf zusammen." Auch in Passau entspannte sich die Lage weiter.
dpa/mh/rkr - Bild: Ronny Hartmann (afp)