Bei den Protesten gegen den islamisch-konservativen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan ist in der Türkei ein zweiter Demonstrant getötet worden. Bei einer Autopsie der Leiche wurde festgestellt, dass er eine schwere Schädelverletzung erlitten hat, wie türkische Medien am Dienstag unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft in Antakya berichteten.
Ein Politiker der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) sagte demnach, der Mann sei von einer Gasgranate am Kopf getroffen worden. Das Opfer war Mitglied der CHP-Jugendorganisation. Staatspräsident Abdullah Gül bemühte sich in Gesprächen um ein Ende der Gewalt.
Gewerkschaft ruft Streik aus
Aus Protest gegen das Vorgehen der Regierung rief der Gewerkschaftsbund KESK zum Streik auf. Vom Mittag an sollten die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes die Arbeit niederlegen, teilte der Dachverband auf seiner Internetseite mit. Die Mitglieder sollten für eine demokratische Türkei eintreten und damit gegen den "Faschismus" der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP demonstrieren. Türkische Medien berichteten, dem Aufruf könnten mehrere hunderttausend Menschen folgen.
Erst am Vortag war bestätigt worden, dass ein Demonstrant in Istanbul getötet wurde, als ein Autofahrer in eine Gruppe von Demonstranten raste. Seit Beginn der Proteste sind nach Angaben eines Ärzteverbandes bereits mehr als 2300 Menschen verletzt worden.
Zusammenstöße in Istanbul in vierter Nacht in Folge
In Istanbul kam es auch in der vierten Nacht in Folge zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten. Wie Aktivisten und türkische Medien berichteten, ging die Polizei im Stadtteil Besiktas am späten Montagabend erneut mit Tränengas gegen Erdogan-Gegner vor. Dabei soll es wieder Verletzte gegeben haben. Die Auseinandersetzungen waren aber nicht mehr so schwer wie in der Nacht zuvor. Auf dem zentralen Taksim-Platz in Istanbul hielten Regierungsgegner am Dienstag weiter die Stellung.
Die Proteste hatten sich an der gewaltsamen Räumung eines Protestlagers entzündet, mit dem die Zerstörung des Gezi-Parks am Taksim-Platz verhindert werden sollte. Inzwischen richten sie sich vor allem gegen den als immer autoritärer empfundenen Kurs Erdogans.
Vize-Premier will Gespräch mit Demonstranten
In der Türkei will Vize-Premier Bülent Arinc das Gespräch mit den Demonstranten suchen. Das sagte er nach einem Treffen mit Staatspräsident Gül. Arinc entschuldigte sich bei den Opfern von Polizeigewalt und billigte die ursprünglichen Demonstrationen gegen ein Bauvorhaben als rechtens.
Die Vereinten Nationen fordern unterdessen eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt bei den Unruhen in der Türkei. Eine Sprecherin des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte sagte in Genf, man sei beunruhigt über Berichte zu überzogener Gewaltanwendung durch Sicherheitsbeamte.
dpa/dradio/rtbf/vrt/okr/sh - Bild: Aris Messinis (belga)