Das UN-Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien hat sechs ehemals ranghohe Führer der bosnischen Kroaten zu Haftstrafen von bis zu 25 Jahren verurteilt.
Sie seien schuldig für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, urteilten die Richter am Mittwoch in Den Haag. Tausende von Muslimen wurden im bosnischen Krieg 1992 bis 1995 Opfer von Mord, Vergewaltigung, Vertreibung und Terror.
Eine "Schlüsselrolle" spielte Jadranko Prlic (53), sagte der Vorsitzende Richter Jean-Claude Antonetti. Der ehemalige Regierungschef des damaligen, selbst proklamierten Kleinstaates Herzeg-Bosna wurde zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Der Ministaat wurde damals direkt vom Nachbarn Kroatien unter Präsident Franjo Tudjman unterstützt. Auch Tudjman wurde vom Tribunal erstmals öffentlich Beteiligung an diesen Kriegsverbrechen angelastet.
In der fast zwei Stunden dauernden Verlesung der Zusammenfassung des Urteils schilderte der französische Richter eine grausame Terrorkampagne der bosnischen Kroaten. Danach hatte die Armee jahrelang gemordet, gefoltert, vergewaltigt und zerstört. Symbol für den Terror wurde die Belagerung der Stadt Mostar und die Zerstörung der weltberühmten historischen Steinbrücke über die Neretva.
"Ergebnis eines Plans"
Diese Verbrechen seien nicht willkürlich von einigen Soldaten begangen worden, betonte Antonetti. "Im Gegenteil, sie waren das Ergebnis eines Plans, die muslimische Bevölkerung zu vertreiben." Die "ethnische Säuberung" hatte damals international für Entsetzen gesorgt und war mit ein Anlass für die Errichtung des Tribunals durch den Weltsicherheitsrat 1993.
Muslime wurden nachts aus ihren Häusern geholt, Frauen und Mädchen vergewaltigt. "Drei Mädchen waren 8, 10 und 13 Jahre alt," sagte der Richter. Die Armee hielte, so heißt es im Urteil weiter, in Gefangenenlagern Tausende von Menschen unter erbärmlichsten Umständen fest. "Muslime wurden als menschliche Schutzschilde an der Front eingesetzt", sagte der Richter.
Äußerlich unbewegt nahmen die sechs Männer die Urteile entgegen. Bruno Stojic, der damalige Verteidigungschef, schüttelte ungläubig lachend den Kopf. Er muss für 20 Jahre ins Gefängnis. Das ist auch die Strafe für den ehemaligen hohen Offizier Slobodan Praljak (68) und den Armee-Chef Milivoj Petkovic (63). Valentin Coric (56) und Berislav Pusic (60), beide ehemalige hohe Offiziere der Militärpolizei, müssen für 16 beziehungsweise 10 Jahre in Haft.
Mit mehr als sechs Jahren war dies einer der längsten Prozesse in der Geschichte des Tribunals. Noch einmal zwei Jahre brauchten die Richter für ihr Urteil. Die Urteilsbegründung umfasst mehr als 2600 Seiten.
UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien
Das "International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia", kurz ICTY (UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien oder Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien) wurde vor zehn Jahren vom UN-Sicherheitsrat gegründet, um die Hauptschuldigen für Verbrechen in den Kriegen im früheren Jugoslawien in den 90er Jahren zu verfolgen. Es war das erste internationale Tribunal nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Chefankläger ist heute der Eupener Serge Brammertz.
Das Gericht mit Sitz in Den Haag klagte 161 Personen wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord an, darunter eine Frau. 36 Prozesse wurden abgeschlossen. 69 Angeklagte wurden verurteilt und 18 freigesprochen. 28 Angeklagte befinden sich noch in Haft, unter ihnen der ehemalige Serbenführer Radovan Karadzic und sein Armeechef Ratko Mladic. Sie werden unter anderem des Völkermords in Srebrenica 1995 beschuldigt. Die letzten Prozesse sollen 2016 abgeschlossen sein.
dpa/br/mh/km - Bild: Jiri Buller (afp)