Eine Billion Euro. Das sind 1000 Milliarden Euro oder eine Million mal eine Million. Das ist die Summe, die der EU durch Steuerhinterziehung entgeht. Jedes Jahr. Zum Vergleich: das Bruttoinlandsprodukt, also die Summe aller in Europa erstellten Waren und Dienstleistungen betrug im vergangenen Jahr etwas über 12.000 Milliarden Euro. Noch zu abstrakt? Eine Billion Euro, das ist mehr als alle EU-Staaten jährlich für Gesundheit ausgeben. Also sehr viel Geld.
Jetzt will man also mal etwas gegen Steuerhinterziehung und Steuerschlupflöcher zu tun. Doch warum kommt man denn jetzt erst in die Pötte? Die Schätzungen waren doch seit langem bekannt. Doch nichts geschah. Man nimmt es halt zur Kenntnis, kündigt an, dass man mal darüber reden müsste, etwas zu unternehmen und geht dann zur Tagesordnung über. Beispielsweise die achso systemrelevanten Banken zu retten. Dass diese für den ganzen Schlamassel eine nicht unerhebliche Mitverantwortung tragen, wurde dabei kurzzeitig ausgeblendet. Dass die frühere Dexia-Bank im Offshore-Leaks-Skandal verwickelt ist, zeigt doch wie man soziale Verantwortung in den Hinterzimmern der Glaspaläste interpretiert. Wer profitiert denn von dieser gigantischen mit menschlichem Vorstellungsvermögen nicht mehr fassbaren Schuldenmacherei der Länder? Und.. Wer hat denn auch den ganzen Steuervermeidern und selbsternannten Leistungsträgern geholfen, ihr Geld vor der Krake der Finanzämter in Sicherheit zu bringen? Welcher Zahnarzt hatte denn in seinem bekanntlich immer vollen Terminkalender die Zeit, regelmäßig auf die Cook oder britischen Jungferninseln zu jetten, um dort im Briefkasten seiner Firma mit dem selbigen Namen mal nach dem Rechten zu sehen?
Steueroptimierung, wie es im ethikfreien Betriebswirtschaftjargon ja heißt, das übernimmt dann gerne die Hausbank ihres Vertrauens. Mit ihren sogenannten Finanzprodukten. Als würde dort tatsächlich etwas hergestellt.
Klar, niemand stellt den Champagner kalt, wenn eine Steuerrückzahlung ins Haus flattert. Jeder versucht Steuern zu sparen, wenn es denn geht. Beim Arbeiter und Angestellten, beim Lehrer, der Krankenpflegerin, dem Polizisten, dem Müllmann da ist der Spielraum für Steueroptimierung eher gering. Sie zahlen für all das, was den Staat zusammenhält. Auch der Unternehmer, der dort seine Steuern zahlt, wo auch er seine Kinder zur Schule schickt, damit aus ihnen mal was wird, wo er nach einem Herzinfarkt in der Krankenhausnotaufnahme wiederbelebt wird, wo er die öffentliche Straße nutzt, um seine Waren zu transportieren, wo dieser achso ungeliebte Staat ihm einen Rechtsrahmen bietet, innerhalb dessen er seine Tätigkeit in Sicherheit ausüben kann. Zahlt er seine Steuern im Pazifik, dann ist er höflich ausgedrückt unsolidarisch. Denn all das Geld, wir erinnern uns, die eine Billion Euro von eben, die fehlt den Ländern. Bildung, Innovation, Investition, Gesundheitswesen, soziale Sicherheit, Infrastruktur, Kultur, Justiz... all das leidet immer als erstes bei leeren Kassen.
Alle EU-Länder sind gezwungen zu sparen, die ersten Auswirkungen spüren wir schon, mal mehr, mal weniger. Manche Länder müssen sich kaputtsparen und stehen am Rande des wirtschaftlichen und sozialen Bankrotts. Und das ist wohl der Grund, warum man jetzt in Europa steuerpolitisch wachzuwerden scheint. Man kann halt nicht die Länder zum Sparen verdonnern und an der anderen Ecke das Geld sehenden Auges am sonnigen Strand von Barbados versickern lassen.
Es ist und bleibt aber bedauerlich und unverständlich, dass man jahrelang nichts unternommen hat. Man hat den Karren gegen die Wand fahren lassen. Alles war wichtiger als eine gut funktionierende Gesellschaft, die von dem profitiert, was sie mit harter Arbeit erwirtschaftet hat. Nein, die Arbeitsplätze in der Finanzindustrie mussten gesichert werden. Die Schaffung von virtuellem Mehrwert, immer mehr, immer abstrakter, bis alles zusammenbrach und jetzt diejenigen die Trümmer aufsammeln lässt, die gar nichts damit zu hatten.
Jetzt will man also man etwas tun. Es ist bislang nur eine Ankündigung, und selbst wenn aus den vollmundigen Plänen einmal Realität würde, es ist nur ein erster Schritt. Es muss steuer-und finanzpolitisch an einem Strang gezogen werden. Die Länder dürfen sich nicht mehr gegenseitig unterbieten. Die großen Konzerne profitieren von einem unvereinten Europa und lassen ihr Geld dort arbeiten, wo sie quasi nichts mehr zahlen müssen. Auch Belgien spielt das Spiel mit. Doch wenn das Gras auf der anderen Wiese grüner ist, dann ziehen die Heuschrecken wieder weiter. Stichwort Arcelor Mittal. Teile und herrsche. Das hat man in den Konzernzentralen verinnerlicht. In den USA hat man den Apple-Chef jetzt vor den Senat zitiert, und ihn sich ordentlich zur Brust genommen. Doch das international ausgerichtete Steuersparmodell des wertvollsten Unternehmens der Welt bewegt sich im legalen Rahmen, und das ist eigentlich die tragischste Erkenntnis.