Als Joseph Kony mit seinen blutrünstigen Mannen der Lord's Resistance Army (LRA) 2006 aus dem Norden Ugandas abzog, ließ er bei vielen Menschen eine tiefe Spur unvorstellbaren Schreckens zurück. Sieben Jahre später ist der Alptraum für viele seiner Opfer nicht vorbei. Viele greifen zur Flasche.
"Alkohol ist heute in der ganzen Region ein ernstes Problem", sagt Victor Ocheng von der Hilfsorganisation African Youth Initiative Network, die versucht, den Überlebenden bei der Verarbeitung ihrer Erlebnisse zu helfen.
"Die Leute trinken, weil sie es nicht schaffen, mit ihren Erinnerungen und dem Kriegstrauma fertig zu werden." Wenn sie zur Flasche greifen, scheinen die immer wiederkehrenden Bilder des Grauens leichter zu ertragen. Betroffen sind vor allem ehemalige Kindersoldaten und Mädchen, die von der LRA als Sexsklavinnen missbraucht wurden - aber auch Menschen, die viele Jahre lang ohne soziale Anbindung in den Vertriebenencamps gelebt haben und schließlich von der Regierung umgesiedelt wurden.
Viele fühlten sich im Stich gelassen, erklärt Ocheng. "Dieser ganze Prozess ist falsch gehandhabt worden. Die Menschen brauchten intensive Hilfe bei der Wiedereingliederung und Rehabilitierung, aber die haben sie nicht bekommen." James Kidega von der Regierung des besonders schlimm betroffenen Bezirks Gulu bestätigt die Beobachtungen. "Speziell die Männer trinken Unmengen Alkohol. Die Lage ist gravierend."
Es grenzt ans Unvorstellbare, was Kony bei seinem Kampf für einen christlichen Gottesstaat damals angerichtet hat. Die Rebellen hackten ihren Opfern die Lippen, Nasen, Ohren oder Extremitäten ab, kleine Kinder wurden entführt und von ihren Eltern nie wieder gesehen, Mädchen wurden im Busch vergewaltigt und sind heute Mütter von Söhnen und Töchtern, deren Väter sie nicht kennen. Mehr als zwei Millionen Menschen waren jahrelang auf der Flucht. Solche enormen sozialen Narben verheilen nicht ohne professionelle Unterstützung.
"20 Jahre Bürgerkrieg haben zum völligen Zusammenbruch aller Strukturen - inklusive jeder Familienstruktur - geführt", sagt Michael Wangusa, ein Sprecher der Vereinten Nationen in Uganda. Zudem hat das Land auch viele andere Probleme. Arbeitslosigkeit, Armut und Perspektivlosigkeit kommen zum unverarbeiteten Trauma hinzu. "Alkohol ist nicht die einzige Gefahr für die Bevölkerung, es gibt auch viele Leute, die unter Nervenzusammenbrüchen leiden", erklärt auch die Weltgesundheitsbehörde.
Ein weiterer Nebeneffekt des übermäßigen Alkoholkonsums ist sexueller Frust bei den Ehefrauen. "Sie kommen fast jeden Tag in mein Büro und erzählen mir, dass ihre Männer wegen des Trinkens keine Energie dazu haben, mit ihnen zu schlafen", berichtet Kidega. "In den vergangenen zwei Wochen habe ich rund 50 derartige Beschwerden erhalten."
Seit 2005 gibt es Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag gegen Kony und vier seiner Kommandeure. Gesucht werden sie wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Gefasst wurde bislang keiner von ihnen - der harte Kern der LRA versteckt sich seit Jahren irgendwo im dichten Dschungel Mittelafrikas.
So müssen die Überlebenden in Uganda mit dem Wissen leben, dass all die Schreckenstaten bisher ungesühnt geblieben sind. Zudem ist die Angst vor einer Rückkehr der furchtbaren Truppe ein ständiger Begleiter. "Die Leben so vieler Menschen liegen in Scherben", sagt Ocheng. "Viele schaffen es bis heute nicht, wieder aufzustehen und die Herausforderung einer möglichen Zukunft anzunehmen."
UNO macht Kony für über 100.000 Tote verantwortlich
Die ugandische Rebellengruppe Lord's Resistance Army (LRA) hat nach UNO-Angaben in den vergangenen 25 Jahren in Zentralafrika mehr als 100.000 Menschen getötet. Das habe eine Untersuchung des Büros von UNO-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay ergeben, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in New York.
Laut der Studie wurden zudem mindestens 60.000 Kinder von der durch Joseph Kony geleiteten Rebellen-Gruppe entführt. Kony wird vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesucht, derzeit könnte er sich im Sudan versteckt halten.
Die LRA wurde Ende der 80er Jahre gegründet, um für die Interessen der nordugandischen Volksgruppe der Acholi zu kämpfen. Heute gilt sie als eine der brutalsten Rebellengruppen der Welt und ist vor allem in der Demokratischen Republik Kongo, im Südsudan und in Zentralafrika aktiv. (orf)
Von Henry Wasswa und Carola Frentzen, dpa - Archivbild: Dai Kurokawa, afp