Amerika atmet auf: In einem dramatischen Großeinsatz hat die Polizei den mutmaßlichen zweiten Bombenleger von Boston aufgespürt und überwältigt. Der 19-jährige Dschochar Zarnajew hatte sich verletzt in einem Garten in einem abgedeckten Boot versteckt.
Am Freitagabend (Ortszeit) wurde er im Bostoner Vorort Watertown gestellt und mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus gebracht, wie die Polizei mitteilte. Sein älterer Bruder und mutmaßlicher Komplize Tamerlan (26) war zuvor auf der Flucht von der Polizei getötet worden. Über das Motiv der Brüder wird noch gerätselt.
FBI hatte Islamismusverdacht
Das FBI hatte Tamerlan aber bereits 2011 als "radikalen Islamisten" im Visier - ohne Hinweise auf terroristische Aktivitäten zu finden.
Damals wurde Zarnajew auf Wunsch einer ausländischen Regierung überprüft, wie die Bundespolizei mitteilte. Das Ersuchen habe sich auf Informationen gestützt, wonach Tamerlan sich von 2010 an drastisch verändert habe. Er habe Vorbereitungen getroffen, die USA zu verlassen, um sich nicht näher beschriebenen Untergrundgruppen in dem ausländischen Land anzuschließen, hieß es. Das FBI überprüfte ihn damals, sprach auch mit ihm selbst und Familienangehörigen.
US-Präsident Barack Obama lobte nach der Festnahme in einer kurzen Rede im Weißen Haus die Arbeit der Sicherheitsbehörden und kündigte lückenlose Aufklärung an. Bei dem Anschlag auf den Boston-Marathon waren am Montag drei Menschen getötet und 180 verletzt worden.
In Watertown strömten die Menschen auf die Straße, jubelten und applaudierten, als die Festnahme bekanntwurde. Die Bostoner Polizei twitterte um 20.58 Uhr Ortszeit (2.58 Uhr MESZ): "Die Jagd ist aus. Die Fahndung ist vorüber. Der Terror ist vorbei. Und Gerechtigkeit hat gesiegt. Verdächtiger in Haft."
Hinweis eines Hausbesitzers
In seinem Versteck war Dschochar Zarnajew von einem Hausbesitzer entdeckt worden. Nach Aufhebung der Ausgangssperre für ganz Boston war er in seinen Garten gegangen und hatte Blutspuren auf einer Bootsplane entdeckt. Außerdem war ein Sicherungsseil durchtrennt. Als er unter die Plane schaute, entdeckte er nach Polizeiangaben einen blutüberströmten Körper. Er habe dann den Notruf gewählt.
Wie genau die Polizisten Zarnajew festnahmen, blieb zunächst unklar. Laut Medienberichten gingen Vermutungen dahin, dass er nicht erst bei seiner Festnahme schwer verletzt wurde, sondern bereits in der Nacht zum Freitag bei dem Schusswechsel mit der Polizei, in dem sein Bruder starb. Der Gouverneur von Massachusetts, Deval Patrick, sagte laut "Boston Globe", er hoffe stark, dass Zarnajew überlebe. "Ich habe viele Fragen an ihn."
Nach Informationen des TV-Senders CNN war der Gesundheitszustand des 19-Jährigen am Samstag nach wie vor ernst. Er habe viel Blut verloren. Das Krankenhaus, in dem er liege, werde schwer bewacht. Weiter hieß es, die Polizei habe dem Festgenommenen bisher nicht seine Rechte vorgelesen. Dies sei aber in besonderen Fällen möglich. Welche Höchststrafe Dschochar droht, hängt davon ab, ob er nach Landes- oder Bundesrecht angeklagt wird: Massachusetts kennt keine Todesstrafe, die USA als Bundesstaat aber schon.
Die Brüder sind nach bisherigen Erkenntnissen tschetschenischer Herkunft, lebten aber mit ihren Familie bereits seit 2002 in den USA. Beide Söhne sind laut FBI in Kirgistan geboren. Dschochar sei inzwischen in den USA eingebürgert, Tamerlan habe eine ständige Aufenthaltserlaubnis gehabt. Bei der Ermittlungen wollen Russland und die USA eng zusammenarbeiten. Bislang allerdings habe Moskau noch keine wertvollen Hinweise liefern können, meldete die Agentur Interfax am Samstag unter Berufung auf Sicherheitskreise.
Mutter der Boston-Bomber: Sie wurden hereingelegt
Die Mutter der beiden mutmaßlichen Attentäter von Boston ist von der Unschuld ihrer Söhne überzeugt. "Ich bin hundertprozentig überzeugt, dass sie hereingelegt wurden", sagte Subeidat Zarnajewa, die sich als Mutter der beiden Männer ausgab, dem englischsprachigen Staatsfernsehsender Russia Today am Samstag. Zugleich räumte sie ein, dass sich ihr älterer Sohn Tamerlan, der auf der Flucht vor der Polizei getötet worden war, seit etwa fünf Jahren stark für den Islam interessiert habe.
"Aber er hat nie gesagt, dass er den Weg des Dschihad einschlagen will", sagte die Frau. "In unserem Haus ist nie über Terrorismus geredet worden." Das FBI habe stets gewusst, was Tamerlan tut. "Sie haben mir gesagt, dass er ein Islamistenführer ist und dass sie Angst vor ihm haben", sagte Zarnajewa. Doch ihr Sohn habe nie ein Geheimnis vor ihr gehabt, meinte die Frau.
Den jüngeren Sohn Dschochar, der schwer verletzt wurde, rief sie zur Zusammenarbeit mit den Behörden auf. "Sag ihnen die Wahrheit, sag, dass Du das nicht getan hast, dass Ihr hereingelegt wurdet", sagte Zarnajewa. Bereits am Vortag hatte der angebliche Vater jede Schuld seiner Söhne bestritten. "Meine Kinder können keiner Fliege etwas antun", sagte er.
Obama kündigte eine lückenlose Aufklärung an. "Warum haben junge Männer, die hier aufgewachsen sind und studiert haben, zu so starker Gewalt gegriffen?", fragte er. Die Familien der Opfer verdienten Antworten. Er habe die Bundespolizei und das Heimatschutzministerium angewiesen, alle notwendigen Ressourcen einzusetzen.
Russland kann USA keine Informationen über Bomber geben
Auf der Suche nach Motiven für den Bombenanschlag in Boston wollen Russland und die USA eng zusammenarbeiten. Bislang allerdings habe Moskau noch keine wertvollen Hinweise liefern können, meldete die Agentur Interfax am Samstag unter Berufung auf Sicherheitskreise. Die mutmaßlichen Attentäter Tamerlan und Dschochar Zarnajew stammen ursprünglich aus dem russischen früheren Kriegsgebiet Tschetschenien im Konfliktgebiet Nordkaukasus.
"Da die Zarnajew-Brüder nicht in Russland lebten, konnten unsere Sicherheitsdienste ihren ausländischen Partnern noch keine aussagekräftigen Informationen übergeben", zitierte Interfax eine anonyme Quelle. Die Kontakte würden aber fortgesetzt. Kremlchef Wladimir Putin und US-Präsident Barack Obama hatten zuvor in einem Telefonat betont, dass die Geheimdienste beider Länder sich im Kampf gegen den internationalen Terrorismus enger abstimmen wollten.
br/dpa/dradio/mdr/jp - Bild: Darren McCollester/Getty Images (afp)