Kurz vor der geplanten Verabschiedung umstrittener Verfassungsänderungen in Ungarn hat die EU-Kommission den Druck verstärkt. Eine Sprecherin kündigte in Brüssel an, dass die Kommission rechtliche Schritte ergreifen würde, falls die Änderungen in der angekündigten Form gebilligt werden sollten.
Das ungarische Parlament wollte am Montag mit der konservativen Regierungsmehrheit weitreichende Verfassungsänderungen verabschieden. Das Vorhaben hatte schon im Vorfeld wegen seiner möglicherweise demokratieschädigenden Stoßrichtung Proteste in Ungarn ausgelöst und Besorgnis im Ausland hervorgerufen. Mit der Abstimmung wurde bis zum Montagabend gerechnet.
Die Anti-Terror-Einheit TEK nahm Montagmittag etwa 20 Mittelschüler fest, die mit einer Sitzblockade einen Zugang zum Budapester Parlament blockiert hatten.
Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle forderte die Einhaltung europäischer Grundwerte. "Wir sind in Europa eine Wertegemeinschaft. Und das muss sich auch nach innen in der Verfasstheit der Länder zeigen", sagte er am Montag vor einem Treffen der EU-Außenminister in Brüssel.
Marginalisierung des obersten Gerichts befürchtet
Die 4. Verfassungsnovelle ergänzt das erst seit Anfang 2012 geltende neue Grundgesetz. Unter anderen sieht sie vor, dass sich das Verfassungsgericht künftig nicht mehr auf seine Spruchpraxis aus der Zeit vor Inkrafttreten der neuen Verfassung stützen darf. Kritiker befürchten eine Marginalisierung des obersten Gerichts, das sich zuletzt häufig auf seine frühere Grundrechte-Interpretation berufen hatte, wenn es demokratiepolitisch bedenkliche Gesetze außer Kraft setzte.
Darüber hinaus darf das Verfassungsgericht künftig vom Parlament beschlossene Änderungen der Verfassung nur noch in verfahrensrechtlicher Hinsicht, nicht aber inhaltlich prüfen. Eine weitere Bestimmung sieht vor, dass die Präsidentin des Nationalen Justizamtes - eine von Präsident Viktor Orban eingesetzte, loyale Funktionärin - bestimmte Fälle bestimmten Gerichten zuweisen kann. Diese Regelung war auch von der EU-Kommission ausdrücklich kritisiert worden.
Andere Bestimmungen erheben Gesetze in den Verfassungsrang, die zuvor vom Verfassungsgericht gekippt wurden. Darunter fallen die willkürliche Zuteilung des Kirchenstatus durch die Regierungsmehrheit im Parlament, das Verbot von Wahlwerbung im privaten Fernsehen und die Kriminalisierung von Obdachlosen, die auf der Straße leben.
Demonstration gegen Novelle
Tausende Menschen hatten am Samstag im Zentrum von Budapest unter dem Motto "Die Verfassung ist kein Spielzeug" gegen die Novelle demonstriert. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte am Freitag in einem Telefonat mit Orban seine Sorge bezüglich der Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien geäußert.
"Wir müssen schauen, ob unsere Sorgen berücksichtigt wurden", sagte eine Sprecherin der Kommission am Montag in Brüssel. "Wenn das nicht der Fall ist, steht uns eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung. Und wir werden nötigenfalls alle Instrumente nutzen."
Ungarns Staatspräsident Janos Ader wurde am Montag in Berlin von Bundespräsident Joachim Gauck empfangen. Ader kann die vom Parlament beschlossene Novelle theoretisch zur Prüfung an das Verfassungsgericht verweisen. Der ungarische Präsident traf Gauck zum Auftakt eines zweitägigen Deutschland-Besuchs.
dpa/sd - Archivbild: Peter Kohalmi (afp)