Dramatische Eskalation im algerischen Geiseldrama: Bei der Erstürmung der von Islamisten besetzten Industrieoase In Amenas haben algerische Truppen angeblich 650 Geiseln befreit. 60 ausländische Geiseln würden aber noch vermisst, berichtete die algerische Nachrichtenagentur APS unter Berufung auf Sicherheitskreise. Es gab zahlreiche Tote. Islamisten kündigten als Reaktion auf den Armeeeinsatz weitere Anschläge an.
Die Regierungstruppen durchsuchten die Gasförderanlage und die angrenzende Wüste. Während bereits Überlebende aus In Amenas ausgeflogen wurden, dauerte der Militäreinsatz am Freitag an. Mehrere Islamisten hatten sich mit Geiseln im Industriebereich verschanzt. Soldaten einer Elitetruppe versuchten laut APS, sie zum Aufgeben zu bewegen Kommunikationsminister Mohand Said Oublaid erklärte aber, Algerien werde sich niemals erpressen lassen. «Wer glaubt, wir würden mit Terroristen verhandeln, täuscht sich.»
650 Geiseln befreit
Unter den Befreiten sind laut APS 573 Algerier und mehr als die Hälfte der 132 ausländischen Mitarbeiter der Anlage. Unklar blieb, wie viele Menschen bei der Geiselnahme und dem anschließenden Militäreinsatz umkamen. Ein Islamistenkommando hatte die gemeinsam von BP, Sonatrach und Statoil betriebene moderne Industrieanlage mit 700 Mitarbeitern am Mittwoch gestürmt. Es reagierte damit auf die Entscheidung Algeriens, Frankreich Überflugrechte für Kampfflugzeuge im Mali-Einsatz zu geben. Die algerischen Streitkräfte begannen am Donnerstag mit Unterstützung von Hubschraubern, die Industrieoase zurückzuerobern.
Kritik
Das harte Vorgehen ohne Rücksicht auf das Leben der Geiseln brachte Algerien Unverständnis und heftige Kritik vieler Regierungen ein, darunter der aus Großbritannien. Der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe rief Algerien auf, dem Schutz des Lebens der Geiseln Vorrang zu geben. Das ebenfalls betroffene Frankreich stellte sich allerdings gegen den Chor der Kritiker. Die Algerier seien mit einer sehr komplexen Lage konfrontiert, erklärte das Pariser Außenministerium. US-Verteidigungsminister Leon Panetta drohte den Geiselnehmern Konsequenzen an. «Die Terroristen sollten wissen, dass es für sie kein Versteck, keinen Fluchtpunkt gibt», sagte Panetta in London.
Weitere Anschläge geplant
Die Islamisten zeigten sich unbeeindruckt und kündigten weitere Anschläge auf westliche Interessen an. Alle Algerier seien aufgerufen, sich «abseits von Standorten ausländischer Unternehmen zu halten», erklärte einer ihrer Sprecher der mauretanischen Agentur Agence Nouakchott d'Information (ANI) am Freitag. «Wir werden auftauchen, wo uns niemand erwartet.»
Neben Kämpfern aus Mali, Niger, Ägypten, Algerien, Mauretanien und anderen islamischen Staaten gehörte dem Kommando von In Amenas dem Islamistensprecher zufolge auch ein Dschihadist aus Kanada an. Die Aktion war offenbar monatelang für den Fall vorbereitet worden, dass Frankreich im Mali-Krieg eingreift. Die Täter kannten sich laut Überlebenden gut auf dem Gelände aus und waren mit Armeeuniformen getarnt.
br/mh