Wenige Tage nach dem katastrophalen Wirbelsturm "Sandy" beginnt in New York und an der US-Ostküste das Aufräumen. Die Zahl der Toten ist nach offiziellen Angaben auf mehr als 90 gestiegen. Und die Suche nach Vermissten geht weiter. Die Metropole New York versucht, den Alltag wieder in den Griff zu bekommen. Für Freitagabend (Ortszeit) kündigte Bon Jovi mit prominenten Musikern wie Sting, Billy Joel und Bruce Springsteen ein Benefiz-Konzert in New York an. Die Spenden sollen den "Sandy"-Opfern zugutekommen.
In der Millionenstadt New York sollten am Freitag weitere U-Bahnlinien wieder in Betrieb gehen. Parks und Spielplätze sollen am Wochenende aufmachen. Noch immer leben Millionen Menschen ohne Strom, Licht, Heizung, Trinkwasser, funktionierende Telefone oder Toiletten.
Weiter tausende Menschen ohne Strom
Allein in New York haben laut dem US-Nachrichtensender CNN rund 500.000 Menschen keinen Strom. "Die Wiederherstellung der Elektrizität wird viel Zeit in Anspruch nehmen", zitierte CNN den Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg.
An der US-Ostküste waren offiziellen Angaben zufolge Donnerstagabend noch immer fast 3,5 Millionen Menschen ohne Strom. Behörden und Fachleute in neun US-Bundesstaaten sind damit beschäftigt, den öffentlichen Verkehr und die Elektrizitätsversorgung wieder in Gang zu bringen.
In Staten Island kamen in der vergangenen Nacht zehn Transporter des Roten Kreuzes mit Trinkwasser und Medikamenten zur Versorgung der Menschen an. Nach Angaben des Weißen Hauses sollten am Freitag Regierungsvertreter in Staten Island eintreffen, um mit den Kommunalpolitikern Lösungen zu erarbeiten. Bis der Strom zurückkehrt, kann es nach Angaben des Versorgers in einigen Gegenden noch bis zu zwei Wochen dauern. Allein in New York verteilte die Nationalgarde rund eine Million Essen und große Mengen Trinkwasser an die Opfer des Sturms.
Welle der Hilfsbereitschaft
Das Leid der Menschen löste eine weltweite Welle der Hilfsbereitschaft aus. Bürger, Unternehmen und Prominente spendeten bereits fast 20 Millionen Dollar (rund 15 Millionen Euro). UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sprach den Betroffenen sein Mitleid aus und bot die Hilfe der Vereinten Nationen an. Die UN, deren Hauptgebäude in New York ebenfalls beschädigt wurde, hatten am Donnerstag den Betrieb wieder aufgenommen.
Nach Schätzungen der Bundesbehörden verursachte "Sandy" im Osten der USA einen Gesamtschaden von 20 Milliarden Dollar. Der auf Risikoanalysen spezialisierte Versicherungsdienstleister Eqecat ging sogar von einem volkswirtschaftlichen Schaden zwischen 30 und 50 Milliarden Dollar aus. Der Gouverneur des Bundesstaates New York, Andrew Cuomo, bezifferte in einem Brief an Präsident Barack Obama die Schäden für die Millionenmetropole am Hudson auf insgesamt sechs Milliarden Dollar (4,6 Milliarden Euro).
Zusammen mit den Opfern aus der Karibik forderte "Sandy" mehr als 150 Menschenleben. Manche der Opfer wurden vor ihrem Tod zu Helden, andere kamen auf tragische Art und Weise ums Leben. Ein 28 Jahre alter Polizist rettete sieben Menschen das Leben. Als das Wasser in der Sturmnacht in seinem Haus immer weiter stieg, schaffte er alle nach oben - der älteste ein fast 70-jähriger Mann, der jüngste sein 15 Monate alter Sohn. Ein letztes Mal tauchte der Polizist in den Keller und kam nicht mehr zurück.
Bloomberg macht sich für Obamas Wiederwahl stark
Der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg hat sich für eine Wiederwahl von US-Präsident Barack Obama stark gemacht. Er lobte am Donnerstag Obamas Reaktion auf den schweren Sturm "Sandy" und hob hervor, dass der Amtsinhaber am besten geeignet sei, den Herausforderungen des Klimawandels gerecht zu werden.
Die Zerstörung, die "Sandy" nach New York und in andere Teile des Nordostens gebracht habe, "hat scharf vor Augen geführt, was bei der Präsidentenwahl am Dienstag auf dem Spiel steht", schrieb der parteilose Bloomberg in einem Kommentar für seine gleichnamige Nachrichtenagentur. Er wies darauf hin, dass die beiden Stürme "Sandy" und "Irene", die New York in diesem und im vergangenen Jahr getroffen hätten, ein Zeichen für den Klimawandel seien. Gewählte Spitzenpolitiker müssten "unverzüglich" handeln.
Der Bürgermeister hob weiter hervor, dass Obama auch Schritte zur Reduzierung des Schadstoffausstoßes unternommen habe. Der republikanische Herausforderer Mitt Romney habe während seiner Zeit als Gouverneur von Massachusetts ebenfalls Maßnahmen in dieser Richtung ergriffen. Seitdem sei er aber von früheren Positionen abgerückt.
"Show muss nicht weitergehen": New York streitet um Marathon
Das Teilnehmerfeld ist hochkarätig, doch der sportliche Aspekt des New York-Marathons ist in diesem Jahr trotzdem nur sekundär. Die 43. Auflage des Langstrecken-Klassikers durch alle fünf New Yorker Stadtteile am Sonntag ist umstritten. "Den Marathon zu laufen ist nicht das, was die Stadt jetzt braucht", schrieb die Tageszeitung "New York Daily News" in ihrer Donnerstagausgabe. "Die Show muss nicht weitergehen", hieß es bei ESPN.com in Anspielung auf die Steh-auf-Mentalität, die vor allem Bürgmeister Michael Bloomberg verbreitete.
Auch Tage nach Hurrikan "Sandy" sind Hunderttausende in der Millionen-Metropole noch ohne Strom - der Alltag ist trotz aller Bemühungen weit von der Normalität entfernt. Dennoch hatte Bloomberg bereits zur Wochenmitte betont, dass der Marathon auf jeden Fall stattfinden werde. Renndirektorin Mary Wittenberg zog gar einen Vergleich zu 2001, als das Event sieben Wochen nach den Terror-Anschlägen des 11. September ausgetragen wurde, um die Einwohner zu inspirieren und der Welt die Widerstandsfähigkeit der Stadt zu zeigen. "Wir reden hier über weitaus mehr als ein Rennen. Der Marathon ist nicht nur eine Essenz der Stadt, sondern auch gut für die Stadt", so Wittenberg. "Blödsinn", entgegnet Filip Bondy, Kolumnist der "New York Daily News".
Das Rennen habe keine Bedeutung für Leute, die obdachlos geworden sind, weil ihre Häuser bis auf die Grundmauern niedergebrannt seien, so Bondy. Er hob zudem hervor, dass die Krankenhäuser der Stadt, von denen zwei bereits wegen Stromausfalls evakuiert werden mussten, derzeit Wichtigeres zu tun hätten, als sich um selbst zugefügte Verletzungen oder Herzkomplikationen von Läufern zu kümmern.
Die Frage, warum die Massen-Veranstaltung trotz der Unwägbarkeiten unbedingt durchgeführt werden muss, stellen sich viele. Prestige, purer Aktionismus oder angekratzter Stolz? Liegt es daran, dass der Marathon erstmals seit 1993 wieder im landesweiten TV übertragen wird? Oder schlichtweg, weil er "Big Business" für "Big Apple" ist und mit geschätzten Einnahmen von 340 Millionen Dollar so viel Geld in die Stadtkassen spült, wie kein anderes Sportevent?
Es gebe "entsetzlich viele Kleinunternehmen, die von dieser Veranstaltung abhängig sind", so Bloomberg. Andrew Zimbalist hält dies für eine "Übertreibung." Der Wirtschaftsprofessor verweist darauf, dass New York durch Veranstaltungen jährlich mehrere hundert Milliarden Dollar einnimmt. "Die jetzige Situation wird sich bemerkbar machen, aber nur sehr geringfügig", so Zimbalist.
"Es fällt uns nicht leicht, wir treten unsere Aufgabe schweren Herzens an", sagt Wittenberg. Ihre New York Road Runners (NYRR) hatten vor dem Hurrikan damit gerechnet, rund 34 Millionen Dollar für 300 Wohltätigkeitsorganisationen zu sammeln. Jetzt, so Wittenberg, wolle man das Rennen vor allem als Plattform für Charities nutzen, die direkt den von "Sandy" betroffenen Menschen helfen. Unter dem Motto "Race to recover" haben die NYRR den angestrebten Spenden-(Marathon) eröffnet. Die Organisatoren gaben bekannt, mindestens eine Million Dollar oder aber 26,20 Dollar (ein Marathon entspricht 26,2 Meilen) für jeden der mehr als 40.000 erwarteten Starter zu stiften.
Während viele Hobbyläufer noch mit Anreiseproblemen kämpfen, sind die großen Namen bereits in New York eingetroffen. Das Frauenfeld wird von der äthiopischen Olympiasiegerin Tiki Gelana, der London-Dritten Tatjana Archipowa (Russland) und Kenias Weltmeisterin Edna Kiplagat angeführt. Bei den Männern gelten der Olympiadritte Wilson Kipsang (Kenia), sein Landsmann und 2011 Chicago-Champion Moses Mosop sowie der New Yorker 2010-Sieger Gebre Gebremariam. (Äthiopien) als Favoriten. Die Einheimischen setzen auf den Olympiavierten und 2009-Gewinner Meb Keflezighi. Er sieht den Marathon wenige Tage nach dem Hurrikan als "etwas Positives. Es wird Motivation sein, eine gute Show zu liefern."
dpa/jp - Bild: Mario Tama/Getty Images (afp)