Mindestens 57 Tote markieren seinen Weg durch die Karibik - nun richtet sich seine Zerstörungswut auf ein neues Ziel: Hurrikan «Sandy» bewegte sich am Sonntag entlang der US-Ostküste nach Norden.
Wo er richtig zuschlagen wird, konnte noch niemand sagen. Doch Wetterexperten und Fernsehsender warnten unisono: Der Hurrikan könnte an Land Seite an Seite mit einer Kaltfront zum Monstersturm des Jahrhunderts mutieren. 50 Millionen Ostküstenbewohner bereiteten sich auf «Frankenstorm» vor.
Zwischen Halloween-Geistern und -Kürbissen wirkten sie gespenstisch: Vernagelte Fenster und Sandsäcke prägten das Bild entlang der betroffenen Staaten von North Carolina bis nach Neuengland. «Go away Sandy, we want Candy» («Geh weg Sandy, wir wollen Süßigkeiten») haben Kinder an die Wand eines verlassenen Hauses in New Jersey gekritzelt. Kommt der gewaltige Sturm, verhagelt er nicht nur den Präsidentschaftskandidaten den Wahlkampf, sondern auch den Kindern den Süßigkeiten-Raubzug des beliebten Festes am 31. Oktober. «Wenn er tatsächlich kommt», so der Bewohner eines Vororts von Washington, «wagt sich hier keiner mehr auf die Straße.»
Aber ob er tatsächlich kommt? 50 Millionen Menschen in einem der am dichtesten besiedelten Gebiete der USA sind verunsichert. Pausenlos werden sie seit Tagen von den TV-Sendern mit Horrorprognosen befeuert: Der Sturm bahne sich mit einer geballten Ladung Energie an, die mit allen Mitteln zerstöre: Wind, Regen, Hagel, Schnee, Überschwemmung. Nahezu biblisch wirken die Prophezeihungen: «Die Größe und Langsamkeit des Systems werden es zu einem lang anhaltenden Ereignis machen - drei Tage lang», so James Franklin vom Nationalen Hurrikan Center.
Leere Regale
«Doch momentan ist alles noch so unwirklich», sagt die Kassiererin eines Supermarktes in Potomac (Maryland). Hamsterkäufer drängten sich in ihrer Schlange - im Rücken leere Regale. Wasser, Batterien, Toilettenpapier, Kerzen und Konserven. Die Behörden haben alle aufgerufen, sich mit Notrationen für bis zu sieben Tage einzudecken. Im Staat New Jersey wurden am Wochenende bereits einige vorgelagerte Inseln evakuiert. Die Menschen auf den Eilands von Sandy Hood bis Cape May sollten ihre Häuser bis Sonntagnachmittag verlassen haben und auf dem Festland abwarten, bis die Gefahr vorüber ist.
Im Bundesstaat und in der Millionenmetropole New York sollten bereits ab Sonntagabend U-Bahnen, Regionalzüge und Busse in den Depots bleiben, kündigte Gouverneur Andrew Cuomo an. Der Schritt sei auch ein Zeichen an die Einwohner der Region, sich ab dann nicht mehr soviel draußen aufzuhalten, sagte Cuomo. Der Chef der New Yorker Verkehrsbehörde MTA, Joseph Lhota, sagte, die Bahnen und Züge könnten möglicherweise rund zwölf Stunden nach dem Sturm wieder fahren. «Ich denke, dass Montag und Dienstag schwierige Tage werden.»
Auch die Brücken, die die verschiedenen Viertel der Stadt miteinander verbinden, könnten gesperrt werden, wenn Windgeschwindigkeiten von mehr als 95 Kilometer pro Stunde angekündigt werden sollten. Seit Samstagabend mussten die Arbeiten auf allen Baustellen der Metropole vorübergehend eingestellt werden. Einwohner von tiefer gelegenen Gegenden müssen sich auf eine Evakuierung ihrer Häuser einstellen. Bürgermeister Michael Bloomberg forderte die New Yorker auf, sich ab Sonntag nicht mehr in öffentlichen Parks aufzuhalten und sich mit Vorräten einzudecken. «Frankenstorm» war überall auf den Straßen, in den Läden, Restaurants, Cafés und Bars der Millionenmetropole das beherrschende Thema.
dpa - Bild: Spencer Platt (Getty Images)