"Die Zahl der Menschenrechtsverletzungen hat in den vergangenen Monaten dramatisch zugenommen", sagte der brasilianische Diplomat Paulo Pinheiro am Dienstag in New York.
"Mord, ungerechtfertigte Inhaftierung, sexuelle Gewalt, Gewalt gegen Kinder - die Lage wird immer schlimmer." Zudem gebe es nach wie vor Angriffe auf Wohnviertel mit vielen Opfern. Pinheiro ist Chef einer vierköpfigen Mission, die im Auftrag der UN Menschenrechtsverletzungen in Syrien dokumentiert.
"Die Kriegsverbrechen werden vor allem durch Regierungstruppen verübt", sagte Pinheiro. Es gebe allerdings auch Vergehen der Opposition. "Aber die Dimension ist doch eine ganz andere." Die Rebellen der Freien Syrischen Armee hätten sich selbst einem Kodex verschrieben, um Zivilisten zu schützen. "Wir haben davon aber noch keine Auswirkungen gespürt", sagte Pinheiro weiter.
Die UN-Mission hat für ihren Report nach eigenen Angaben in den vergangenen Monaten 1100 Gespräche geführt, vor allem mit Flüchtlingen oder per Skype auch mit Menschen in Syrien. Pinheiro warnte vor dem Einfluss von Islamisten, die aus dem Ausland nach Syrien kämen. "Sie sind eine treibende Kraft. Sie sind keine machtvolle Armee, aber es sind dennoch Hunderte." Sie kämpften zwar gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad, hätten aber nicht die gleichen Ziele wie die Opposition. "Sie kämpfen gewiss nicht für Demokratie, sie haben ihre eigene Agenda. Ihre Präsenz betrachten wir als große Gefahr in einem ohnehin unberechenbaren Konflikt."
Hilferuf aus Syrien
Die syrischen Revolutionäre haben die internationale Staatengemeinschaft um Beistand für die Menschen in den von Rebellen kontrollierten Gebieten gebeten. Die Allgemeine Kommission für die Syrische Revolution (SRGC) erklärte am Dienstag, das Regime von Präsident Baschar al-Assad lasse die Luftwaffe in den "befreiten Gebieten" Vergeltungsangriffe fliegen. Mit diesen Einsätzen mit Kampfflugzeugen und Hubschraubern wolle man Rache an den Bewohnern Gebiete nehmen. Im Bezirk Marat al-Noaman in der Provinz Idlib sei bereits ein ganzes Viertel zerstört worden. "Die internationale Gemeinschaft trägt die rechtliche und moralische Verantwortung für die weitere Entwicklung in Syrien", heißt es in der Botschaft der SRGC weiter.
Am Dienstag wurden nach Angaben von Aktivisten landesweit von den Regierungstruppen 94 Menschen getötet. Menschenrechtler meldeten, Mohammed Sakarija al-Nasar, ein Professor der Universität Damaskus, sei in der Haft zu Tode gefoltert worden. Wie in Damaskus bekannt wurde, kam der Oppositionelle Maher Abu Majale wieder frei. Der ehemalige Mitarbeiter der Weltbank war in der vergangenen Woche festgenommen worden, als er zu einer Konferenz nach Tokio fliegen wollte.
Der stellvertretende Generalsekretär der Arabischen Liga, Ahmed Ben Hilli, sagte, die Liga unterstütze den Appell des Syrien-Sondergesandten Lakhdar Brahimi für eine Waffenruhe zum islamischen Opferfest, das in der kommenden Woche beginnt. Die syrische Führung signalisierte grundsätzlich Interesse. Der Sprecher des Außenministeriums, Dschihad Makdisi, sagte nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Sana, in Damaskus warte man gespannt auf die Vorschläge Brahimis. In der Vergangenheit sei die Umsetzung von Vorschlägen der Arabischen Liga jedoch daran gescheitert, dass sich die bewaffneten Regimegegnern an keine Vereinbarung gehalten hätten. Brahimi, der am Dienstag in Kairo ägyptische Regierungsvertreter traf, will am Mittwoch mit dem Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, sprechen.
dpa - Archivbild: Fabrice Coffrini (afp)