In einem der größten Korruptionsprozesse in der Geschichte Brasiliens hat der Oberste Gerichtshof des Landes mehrere Spitzenpolitiker der Ära Lula schuldig gesprochen. Darunter sind Ex-Kabinettschef José Dirceu, der Ex-Präsident der Arbeiterpartei (PT), José Genoino, und der frühere PT-Schatzmeister Delúbio Soares. Es gab erste personelle Konsequenzen. Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva selbst gehört nicht zu den Beschuldigten. Die Urteile werden erst für Ende Oktober erwartet.
Nach mehrheitlicher Auffassung des Richtergremiums waren sie alle 2003 und 2004 in den sogenannten Mensalão-Skandal verwickelt. Damals wurden Parlamentarier mit monatlichen finanziellen Zuwendungen bestochen. Im Gegenzug stützten die Kongressabgeordneten Projekte der Regierung. Das Wort "mensalão" bedeutet so viel wie "dicker Monatslohn". Der Skandal hatte die Regierung Lula in ihren Grundfesten erschüttert.
Dirceu aussichtsreichster Kandidat für Lulas Nachfolge
Der Hauptangeklagte Dirceu galt zeitweise als aussichtsreichster Kandidat für Lulas Nachfolge. Der 66-Jährige ist eine der schillerndsten PT-Figuren. Er kämpfte gegen die Militärdiktatur (1964-1985), wurde 1968 festgenommen und kam ein Jahr später im Austausch gegen den von linken Guerilleros entführten US-Botschafter Charles Burke Elbrick frei. Dirceu floh nach Kuba, unterzog sich einer Gesichtsoperation und kehrte heimlich nach Brasilien zurück. Er war einer der führenden Strategen hinter Lulas Wahlsieg 2002 und als Kabinettschef von 2003 bis 2005 dessen starker Mann.
Die Angeklagten wurden am Mittwoch von der Mehrheit des derzeit zehnköpfigen Richtergremiums am STF-Gerichtshof der "aktiven Korruption" für schuldig befunden. Im Falle Dirceus kamen bislang sechs Richter zu diesem Schluss. Der Strafrahmen sieht zwei bis zwölf Jahre Gefängnis vor. Ex-PT-Chef Genoino legte nach dem Urteil seinen Posten als Sonderberater im Verteidigungsministerium nieder. Er kritisierte das Gericht. Das Urteil sei ein Irrtum. "Sie haben einen Unschuldigen verurteilt, und das ohne Beweise", sagte Genoino.
Bildung einer kriminellen Vereinigung
Dirceu wird auch die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Er streitet die Vorwürfe vehement ab und spricht von einer Kampagne gegen die frühere Regierung. Lula selbst, der Ende 2010 nach zwei Amtszeiten mit Rekordzustimmungswerten aus dem Amt schied, wusste nach eigenen Angaben nichts von den Mensalão- Machenschaften, die 2005 bekannt wurden. Er wurde 2006 bei Wahlen mit über 60 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt.
Die Urteile werden erst am Schluss der Verhandlung, vermutlich Ende Oktober, verkündet. Damit trägt man der - eher unwahrscheinlichen - Möglichkeit Rechnung, dass einer oder mehrere Richter ihre Meinung doch noch ändern. Jeder Richter gibt in dem langwierigen Verfahren seine Entscheidung einzeln und mit ausführlicher Begründung ab. Insgesamt müssen sich 37 Angeklagte verantworten, darunter auch Banker und Unternehmer.
dpa - Bild: Evaristo Sa (afp)