Mehrere Hundert Menschen haben am Sonntag in Kairo die Ablösung der bisherigen Militärführung um Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi gefeiert. Auch in Alexandria kamen Hunderte zusammen, um den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi zu unterstützen. Teilnehmer der Kundgebung erklärten, nun beginne eine neue Zeit, berichtete der Nachrichtensender Al-Dschasira.
Mursi hatte überraschend die Militärführung in den Ruhestand versetzt. Außerdem hatte er die Verfassungszusätze wieder abgeschafft, mit denen das Militär unter Tantawi die Macht des Staatschefs eingeschränkt hatte.
Tantawi wurde zu Mursis Berater erklärt und erhielt zudem einen Orden. In Kairo gingen daher die Ansichten auseinander, ob es sich um einen Machtkampf Mursis mit dem Militär handelt, oder ob eine politische Vereinbarung dahinter steht. Mursi habe den Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Verteidigungsminister Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi sowie den Generalstabschef Sami Anan ihrer Funktionen enthoben, teilte Präsidentensprecher Jasser Ali in Kairo mit.
Tantawi hatte nach dem Sturz des Langzeitpräsidenten Husni Mubarak im Februar 2011 den Militärrat geführt, der in der Übergangszeit in Ägypten die Macht hatte. Er war ein enger Vertrauter Mubaraks gewesen. Zum Nachfolger Tantawis an der Spitze der Streitkräfte bestellte Mursi Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi. Al-Sisi legte gleich den Amtseid ab.
Lob für die Streitkräfte
Am Sonntagabend lobte Mursi in einer Ansprache die Rolle der Streitkräfte. Seine Entscheidung sei gegen niemand gerichtet, auch wolle er keine Institution in Verlegenheit bringen. Er habe das Wohl des Landes und seiner Bürger im Auge gehabt. Mursi hatte zudem jene Verfassungszusätze für null und nichtig erklärt, die der damals regierende Militärrat kurz vor der Erklärung Mursis zum Sieger der Präsidentenwahl im Juni erlassen hatte. Die Verfassungszusätze hatten die Macht des Staatsoberhauptes zugunsten des Militärs deutlich eingeschränkt.
Außerdem ernannte Mursi zum ersten Mal seit seiner Amtseinführung Ende Juni mit Mahmud Mekki einen Vizepräsidenten, der umgehend vereidigt wurde. Der Richter Mekki hatte sich als scharfer Kritiker des Systems des 2011 entmachteten Langzeitpräsidenten Husni Mubarak einen Namen gemacht. Mursi hatte die Präsidentenwahl im Juni als Kandidat der islamistischen Muslimbruderschaft gewonnen. Bei seinem Amtsantritt legte er formell seine Mitgliedschaft in der Islamistenbewegung und der ihr angeschlossenen Partei Freiheit und Gerechtigkeit nieder.
Die ersten Wochen seiner Präsidentschaft waren von starken Spannungen mit dem Militärrat gekennzeichnet. Das Gremium hatte nach dem Sturz Mubaraks im Februar 2011 die Macht in Ägypten übernommen und seitdem immer wieder bestimmend in das politische Geschehen eingegriffen.
Machtkampf entbrannt?
Ist nun der Machtkampf zwischen dem gewählten Präsidenten und den noch von Mubarak ernannten Generälen voll entbrannt? Eine klare Antwort auf die Frage gab es am Sonntag in Kairo nicht. Die Aufhebung der Verfassungszusätze wirkt juristisch besonders kühn. Nach allgemeiner Auffassung schien Mursi dazu schlicht nicht befugt. Erste Anzeichen deuten aber darauf hin, dass sich der Präsident nicht auf einen einsamen Alleingang eingelassen hat.
So ernannte er die von ihm in die Pension geschickten Armeeführer Tantawi (76) und Anan (63) im selben Atemzug zu seinen "Beratern". Ihre Pension wird ihnen außerdem durch die Verleihung des Nil-Ordens, einer der höchsten ägyptischen Auszeichnungen, versüßt. Ein Minimum an vorangegangenen Absprachen kann vorausgesetzt werden.
Mit den Verfassungszusätzen und der Auflösung des zur Jahreswende gewählten Parlaments hatte der Militärrat ungewöhnlich viel Macht in seinen Händen konzentriert. Mit der Direktwahl Mursis trat der Mangel an Legitimität, der dem Herrschaftsanspruch des Militärs anhaftete, besonders klar hervor. Es ist möglich, dass die Generäle dies zunehmend eingesehen haben.
Ob und welche diskreten Absprachen da im Hintergrund getroffen wurden, war am Sonntag noch nicht klar. Die Umbesetzungen in der Militärführung erfolgen inmitten einer Sicherheitsdebatte. Eine Woche zuvor hatten Extremisten auf der Halbinsel Sinai ägyptische Militärposten angegriffen, 16 Soldaten getötet und sogar die Grenze zu Israel durchbrochen. Staats- und Militärführung erlebten dies als die schwerste militärische Krise seit dem Mubarak-Sturz. Dies führte aber auch dazu, dass Mursi und Tantawi einander fast täglich trafen - zu Krisensitzungen oder zum gemeinsamen Fastenbrechen im Ramadan bei den nun auch von Terroranschlägen gefährdeten Soldaten in ihren Schützengräben auf dem Sinai.
Mursi reklamierte für sich zunehmend jene Funktion des Oberkommandierenden der Armee, die ein arabischer Präsident in der Regel hat, die ihm aber die Verfassungszusätze bislang verwehrten. Mit dem Befreiungsschlag vom Sonntag hat er nun das ersehnte Ziel erreicht.
dpa/jp - Bild: Gianluigi Guercia (afp)