Zehn Jahre sind seit der Flugzeugkatastrophe von Überlingen vergangen, doch der Schmerz der Angehörigen und Helfer ist noch immer groß: "Wir sind hier hergekommen, um unsere Herzen und Seelen zu trösten", sagte der Vorsitzende der Hinterbliebenenvereinigung, Sulfat Chammatov, am Sonntagabend bei einer Gedenkfeier im Überlinger Ortsteil Brachenreuthe. Bei dem Zusammenstoß eines DHL-Flugzeugs mit einer russischen Tupolew-Passagiermaschine waren am 1. Juli 2002 alle 71 Insassen ums Leben gekommen, unter ihnen mehrere Dutzend Schulkinder.
Die Andacht an der zentralen Gedenkstätte war zugleich der Abschluss des zehnten Jahrestages des Unglücks. Neben den Ansprachen von Angehörigen und politischen Vertretern sprachen auch Geistliche verschiedener Konfessionen ihre Gebete. Im Anschluss daran wurden die Namen der Opfer vorgelesen, während Überlinger Schüler ein Kerzenlicht für jeden Gestorbenen anzündeten.
"Fluglotsenmörder" bei Gedenkfeiern anwesend
Unter den rund 150 Gästen aus Russland und Weißrussland war auch der als "Fluglotsenmörder" bekanntgewordene Hinterbliebene Witali Kalojew. Er hatte bei dem Unglück seine beiden Kinder und seine Frau verloren und zwei Jahre danach den dienstleitenden Fluglotsen getötet. Dessen falsche Einschätzung hatte zu dem Zusammenstoß geführt. Auch für ihn wurde in Überlingen ein Licht angezündet.
Kalojew wollte sich am Sonntagabend nicht zu seinem Besuch äußern, hatte sich zuvor aber in einem Interview verteidigt. "Ich wollte doch nur den Ort des Absturzes besuchen, wo meine Frau und meine Kinder gestorben sind, Blumen niederlegen. Und mich mit denjenigen Leuten treffen, die mir in den Tagen der Tragödie geholfen haben", sagte er dem staatlichen Radiosender Golos Rossii (Stimme Russlands).
Dass der 56-Jährige an den Veranstaltungen teilnehmen durfte, hatte im Vorfeld für Unmut gesorgt. Seine Anwesenheit werfe einen Schatten auf die Gedenkfeier, sagte Baden-Württembergs Minister für internationale Angelegenheiten, Peter Friedrich (SPD), am Sonntagmittag der Nachrichtenagentur dpa: "Die Veranstaltung dient dem Gedenken und der Begegnung. Ich hoffe, dies wird nicht durch die Diskussion um Herrn Kalojew überlagert."
Die Gedenkfeiern zum zehnten Jahrestag des Unglücks hatten am Nachmittag mit einem Gottesdienst im Owinger Ortsteil Taisersdorf begonnen. Zehn Jahre nach dem Unglück sei wieder ein Stück Normalität eingekehrt, sagte Pfarrer Meinrad Huber. "Aber die stille Solidarität darf nicht enden." An der Feier hatten vor allem Angehörige und Freunde der beiden Piloten der Frachtmaschine teilgenommen. "Ich möchte einfach hier sein", sagte einer ihrer Kollegen aus Brüssel. "Wir versuchen jedes Jahr zu kommen."
Am Nachmittag hatten die baden-württembergische Landesregierung und die Stadt Überlingen zudem zu einem Empfang in der Gemeinde eingeladen. Gerechtigkeit liege nie in den Händen eines Einzelnen, sagte Friedrich dabei in einer Ansprache. "Vielmehr müssen wir als Gemeinschaft in Mitmenschlichkeit Trauer, Leid, Wut und Schmerz teilen." Die Zeit allein heile Wunden nicht. "Wichtig ist, dass man sich umeinander bemüht, dass man sich kümmert."
Der stellvertretende Ministerpräsident der russischen Teilrepublik Baschkortostan, Fidus Jamaltdinow, betonte die schmerzhafte Bedeutung der Flugzeugkatastrophe von Überlingen. "Auch nach zehn Jahren ist das Unglück nicht vergessen, die Gefühle sind immer noch so akut wie damals", sagte er. Mit Hilfe der deutschen Freunde könnten die Angehörigen aber die Katastrophe langsam verarbeiten. "In den zehn Jahren haben wir angefangen zu lernen, ohne unsere Liebsten zu leben", sagte auch Hinterbliebenen-Sprecher Sulfat Chammatov. "Zehn Jahre sind eine lange Zeit - für uns waren sie aber doppelt so lang und doppelt so schwer."
dpa/est - Bild: Stefan Puchner (epa)