Beeinflusst ein kriegerischer Philosoph die Außenpolitik der drittgrößten Atommacht und den Ausgang des Syrien-Konflikts? Diese Frage stellt sich nach den jüngsten Äußerungen von Frankreichs Präsident François Hollande.
Wenige Stunden nachdem der Intellektuelle Bernard-Henri Lévy (63) am Dienstag einen Brandbrief an den Staatschef veröffentlicht hatte, erwog dieser erstmals öffentlich den Einsatz von Kampftruppen, um die Gewalt in Syrien zu stoppen. «Eine Militärintervention ist nicht ausgeschlossen», sagte Hollande in einem Interview des Fernsehsenders France 2. Voraussetzung seien allerdings die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht und ein Mandat des UN-Sicherheitsrats.
Selbst wenn die Zustimmung der Vereinten Nationen wegen der kritischen Haltung der Vetomächte Russland und China derzeit völlig ausgeschlossen scheint, lösten Hollandes Äußerungen Erstaunen aus. Noch kurz zuvor hatte sein Außenminister Laurent Fabius auf die beträchtlichen Risiken eines regionalen Flächenbrandes hingewiesen. Auch mögliche Verbündete wie die USA lehnen bislang eine Militäraktion wie in Libyen strikt ab. War es also der Philosoph Lévy, der Hollande mit seinen Forderungen nach einem Eingreifen wie in Libyen zu den militärischen Drohungen trieb?
Tatenlosigkeit kontraproduktiv
Diplomaten in Paris gehen nicht davon aus. Sie verweisen darauf, dass in Frankreich am 10. und 17. Juni Wahlen zur Nationalversammlung anstehen. Will Hollande in den kommenden fünf Jahren ohne große Widerstände regieren, muss er seine Sozialistische Partei zum Sieg führen. Tatenlosigkeit angesichts der Massaker in Syrien gilt da als kontraproduktiv - zumal Hollandes Vorgänger Nicolas Sarkozy mit dem beherzten Eingreifen in Libyen einen großen politischen Erfolg verbuchen konnte.
Für den umtriebigen Philosophen Bernard-Henri Lévy - in Frankreich unter dem gängigen Kürzel BHL ein Markenzeichen - sind die Hollande-Äußerungen dennoch ein weiterer großer Erfolg. Der stets mit weißem, weit aufgeknöpftem Hemd auftretende Intellektuelle und Publizist wurde bereits von Sarkozy-Vorgänger Jacques Chirac zu politischen Gesprächen empfangen und setzte sich im Bosnien-Konflikt für ein Eingreifen der internationalen Gemeinschaft ein. Später prangerte er unter anderem die Tatenlosigkeit der EU im Georgienkrieg an.
Endgültig international bekannt wurde der 63-Jährige mit seinem Engagement für die Aufständischen in Libyen. Lévy knüpfte damals enge Kontakte zu den Rebellen und brachte sie mit Sarkozy in Verbindung. Dass er die scharfe UN-Resolution und den schnellen Beginn der Libyen-Offensive mit in die Wege geleitet hat, will er zwar nicht für sich in Anspruch nehmen. Aber dass Sarkozy überraschend die Repräsentanten der libyschen Rebellen anerkannte, gehe durchaus auf sein Konto, sagte er danach.
Zu viel Angela?
Lévys jüngste Aufforderungen an die Adresse von Hollande sind deutlich. Er wirft ihm in seinem offenen Brief vor, sich mehr für Benzinpreise und Bundeskanzlerin Angela Merkel zu interessieren als für die Rettung des syrischen Volkes. Notfalls müsse Frankreich auch nur mit Rückendeckung der Arabischen Liga und der EU einen Militäreinsatz in Erwägung ziehen, fordert er. In einem Gespräch vor der Präsidentenwahl habe Hollande so gewirkt, als teile er die Idee, dass das Regime von Baschar al-Assad nur so stark sei, weil die internationale Gemeinschaft zu zurückhaltend und feige sei. «Das ist einer der Gründe, warum ich für Sie gestimmt habe», schrieb der in Algerien geborene Lévy. «Möge ich mich nicht geirrt haben.»
Nach Hollandes Drohungen stimmte Lévy am Mittwoch versöhnlichere Töne an. «Das ist ein guter Anfang. Ich bin zufrieden», sagte er in einem Interview des Radiosenders Europe 1. Er hoffe aber, dass es nicht bei Reden bleiben werde. Die erste große Gelegenheit für Hollande steht am Freitag an. Dann kommt Russlands Präsident Wladimir Putin zu Besuch. Er lehnt jegliche Militärintervention strikt ab. Kritiker fragen sich ohnehin, ob Hollande wirklich alles tun würde, um das Blutvergießen in Syrien zu stoppen. Er hat im Wahlkampf versprochen, das französische Haushaltsdefizit im kommenden Jahr auf die in der EU erlaubte Drei-Prozent-Marke zu bringen. Ein kostspieliger Militäreinsatz würde dieses Ziel in Gefahr bringen.
dpa - Bild: Salvatore di Nolfi (epa)