Doch die große Frage lautet: Was passiert danach? Kehrt in Afghanistan endlich ein wenig Ruhe ein? Alain Kniebs aus unserem Brüsseler Studio glaubt nicht daran. Er selbst hat vor kurzem Außenminister Reynders und Verteidigungsminister De Crem nach Kabul begleitet und meint: Afghanistan steht ein neuer Bürgerkrieg bevor.
Am ersten Januar 2015 beginnt für die Afghanen eine neue Zeitrechnung: Es wird das Jahr eins sein, ohne NATO-Soldaten im eigenen Land. Doch besser wird es dafür nicht. Afghanistan droht erneut in Gewalt und Chaos zu versinken. Denn die Taliban waren nie wirklich weg. Im Regierungsviertel in Kabul haben sie zwar nicht mehr das Sagen, dafür sind sie aber weiterhin aktiv - fast überall im Land. Eigentlich untereinander zerstritten, doch geeint gegen den gemeinsamen Feind: den westlichen Eindringling.
Was als Reaktion auf die Attentate vom 11. September 2001 begonnen hatte und was ein Blitzschlag gegen Ossama Bin Laden werden sollte, ist im größten NATO-Einsatz aller Zeiten geendet. Zehn Jahre sind die westlichen Truppen jetzt schon in Afghanistan, darunter auch 600 belgische Soldaten - doch an der Großwetterlage des Landes hat sich kaum etwas geändert. Im Gegenteil: Afghanistan ist so gefährlich wie selten zuvor - man denke an die vielen Selbstmordanschläge in der Hauptstadt Kabul.
Einsatz der Belgier nicht sinnlos
Sinnlos war der Einsatz der Belgier trotzdem nicht. In Kabul machen sie einen guten Job, sichern die Zugänge zum Militärlager am Flughafen. Von Kandahar aus - im Süden - unterstützen belgische F16-Trupps aus der Luft ihre Kollegen in brenzligen Situationen am Boden. In Kundus schließlich - im Norden - bilden Belgier afghanische Soldaten aus. Und: Sie gehen auf die Bevölkerung zu und sprechen mit ihr. Eigentlich das A und O.
Doch die NATO, allen voran die Amerikaner, haben das in zehn Jahren Krieg so gut wie versäumt. Stattdessen sind sie zur Besatzungsmacht geworden. Soldaten haben sich in hochmoderne Militärfestungen verschanzt und diktieren den Afghanen von dort aus, was sie zu tun und zu lassen haben. Einen Teil der Bevölkerung haben sie gegen sich aufgebracht. Ohne es zu wollen, arbeiten die westlichen Soldaten damit den Taliban in die Hände. Offenbar rüsten sich die ehemaligen Kriegsfürsten bereits für das Abzugsjahr 2014. Präsident Karsai und der Westen hätten verstärkt auf den Dialog mit den gemäßigten Taliban setzen müssen. Ein weiteres Versäumnis.
Afghanische Armee und Polizei neu aufgebaut
Von Grund auf neu aufgebaut und ausgerüstet hat der Westen dagegen die afghanische Armee und Polizei. Nach 2014 sollen jährlich über vier Milliarden US-Dollar - zum Großteil aus den USA - in die Finanzierung der Sicherheitskräfte fließen. Belgien übernimmt 15 Millionen Dollar - also umgerechnet knapp zwölf Millionen Euro pro Jahr. Das sei viel billiger als die jetzige Präsenz am Hindukusch, betont Außenminister Reynders.
In der Tat: Der Einsatz der 600 Belgier vor Ort schlägt jedes Jahr mit über 50 Millionen Euro zu Buche. Über die neue Finanzspritze war die Regierung sich erstaunlich schnell einig, auch wenn zurzeit noch nicht ganz klar ist, aus welchem Topf gezahlt wird. Immerhin bis 2025 geht es um insgesamt 120 Millionen Euro. Glücklicherweise sind allzu populistische Aufschreie von Seiten der Opposition ausgeblieben. Denn: Belgien hat eine Verantwortung, nach zehn Jahren Krieg einfach so aus dem Staub machen, können wir uns nicht.
Zugegeben: Mit dem Geld werden wir Afghanistan natürlich nicht retten. Gestritten werden sollte allerdings darüber, ob nach 2014 noch belgische Soldaten vor Ort bleiben sollen. Auch innerhalb der Koalition gibt es dazu keine Einigkeit. CD&V und MR würden gern, SP.A und CDH sind völlig dagegen. Der Einsatz könnte ganz schön gefährlich werden. Deswegen sollte jeder die zweieinhalb Jahre bis zum Truppenabzug nutzen und sich das mit den Soldaten in Afghanistan nach 2014 ganz genau überlegen.
Bereits die Russen haben sich an Afghanistan die Zähne ausgebissen und es sieht so aus, als endete auch der Einsatz von Amerikanern und Europäern im Chaos. Außerdem machen die Nachbarn es den Afghanen nicht leicht. Die Todesfeindschaft zwischen Indien und Pakistan wird auf dem Rücken Afghanistans ausgetragen. Islamabad ist dafür sogar eine heimliche Allianz mit den Taliban eingegangen. Erinnern wir uns: Al-Kaida-Cehf Bin Laden war ebenfalls in Pakistan untergetaucht. Aber auch Indien, der Iran und neuerdings China wollen mehr zu sagen haben und die Politik in Kabul in die ein oder andere Richtung lenken. Statt Frieden am Hindukusch wird es nach 2014 wohl eher wieder Bürgerkrieg geben.