Die Regierungsbildung in Frankreich hat mit einer Überraschung begonnen. Sozialisten-Chefin Martine Aubry wird nicht zum Kabinett des neuen Präsidenten François Hollande gehören. Die 61-Jährige bestätigte am Mittwoch entsprechende Gerüchte. Die Vorstellung des Kabinetts um Premierminister Jean-Marc Ayrault wurde noch bis zum Abend erwartet. Der enge Vertraute Hollandes war am Morgen in sein neues Amt eingeführt worden.
Aubry hatte im vergangenen Jahr gegen Hollande um die Präsidentschaftskandidatur der Parti Socialiste (PS) gekämpft, bei offenen Vorwahlen aber den Kürzeren gezogen. Vor dem Hintergrund langer parteiinterner Grabenkämpfe galt es nun als sicher, dass sie den Premierministerposten oder zumindest einen Ministerjob bekommen würde. Dass sie einander nicht mögen, haben der langjährige Parteivorsitzende Hollande und seine Nachfolgerin auf dem Posten nie besonders verheimlicht. Aubry nannte Hollande bereits ein "Weichei". Er warf ihr wiederum vor, eine "Lügnerin" zu sein.
"Abrechnung" Hollandes
Oppositionspolitiker wie die Rechtspopulistin Marine Le Pen sahen in der Personalie am Mittwoch eine "Abrechnung" Hollandes mit Aubry. Die Betroffene sprach hingegen von einer einvernehmlichen Entscheidung. Es gilt als sicher, dass sie auf den Posten des Premierministers spekuliert hatte und nun nicht in der zweiten Reihe stehen wollte.
Aubry gilt als etwas spröde, aber äußert machtbewusste Politikerin und wird in Frankreich nicht selten als "linke Angela Merkel" bezeichnet. Die Parteichefin der Sozialisten vertieft sich in ihre Dossiers wie ihr Vater Jacques Delors, der von 1985 bis 1994 der EU-Kommission vorstand und als einer der "Väter des Euro" gilt. Eine 70-Stunden-Woche ist für sie nichts Ungewöhnliches, dabei war sie es, die Ende der 90er Jahre in Frankreich die 35-Stunden-Woche durchsetzte. Aubry war damals Arbeitsministerin im Regierungsteam von Premierminister Lionel Jospin.
In der Partei steht die bodenständige Politikerin für den Gewerkschaftsflügel. Neben der Parti Socialiste führt die 61-Jährige die Verwaltung der Stadt Lille. Dort, im äußersten Norden des Landes, ist sie seit 2001 Bürgermeisterin.
Der neue Premierminister Ayrault folgt auf den konservativen François Fillon, der in den vergangenen fünf Jahren für Hollande-Vorgänger Nicolas Sarkozy die Regierungsgeschäfte im Hôtel de Matignon führte. Er war früher Deutschlehrer und gilt im Lager der Sozialisten als diskrete und pragmatische Führungsperson. Ayrault leitete zuletzt 15 Jahre lang die Fraktion der Parti Socialiste in der Nationalversammlung. Der verheiratete Familienvater hat auch gute Beziehungen zur deutschen Schwesterpartei SPD.
dpa/sh - Bild: Philippe Huguen (afp)