Die Piraten sind nicht die Internetpartei, für die sie teilweise immer noch gehalten werden. Die Piraten sind der Prototyp einer politisch-korrekten Protestpartei. Die Piraten sind die Anti-Politiker.
Denn "Politiker" ist zum Schimpfwort geworden für die, die sich über Jahre klein-klein durch Kreis-, Landes- und Bundesparteitage in die Spitzenpositionen hoch geredet haben, um nach der Ochsentour mit einem gut dotierten Posten belohnt zu werden. Politik wirkt dadurch wie ein Selbstzweck. Und es kommt noch schlimmer: erstmal an der Macht, tun Politiker nicht das, was das Volk will, sondern was Consulter, Berater und Lobbyisten ihnen einreden. Das nervt die Wähler.
Die Piraten sind anders
Mitsprache, Bürgerbeteiligung, Transparenz der Entscheidungsprozesse das klingt toll und dank des Internets soll das auch alles möglich sein, glauben die Piraten. Wenn moderne Kommunikationsmittel totalitäre Regime stürzen, werden sie wohl auch unsere Demokratie umbauen können. Dass die Piraten auf existentielle Fragen wie Schuldenkrise, Terrorismus oder demographische Entwicklung keine Antwort haben, ist dabei eher von Vorteil. Wer sich nicht festlegt, tut keinem weh. Und weil auch Ottonormalwähler längst den Überblick verloren hat, ist die Ahnungslosigkeit der Piraten geradezu sympathisch.
Mit ihrer kritischen Haltung zu Politik und Staat könnte man glauben, die Piraten wollten den klassischen Liberalismus wiederbeleben. Eine Geisteshaltung, die die Gesellschaft vom Bürger aus betrachtet und nicht vom Staat und seinen Institutionen her denkt. Ein Liberalismus, in dem der Staat dem selbstverantwortlichen Bürger dabei dient, individuelle Lebensziele zu verwirklichen. Wo aber auch jeder Bürger durch persönliches Engagement einen Teil der Verantwortung für die Gesellschaft übernimmt. Der allgemeine Trend geht jedoch in die andere Richtung. Der Ruf nach Staat und Gesetzen wird in sich lösenden sozialen Bindungen bei jeder kleinen Krise und Katastrophe eher lauter, das persönliche Engagement in Vereinen oder Nachbarschaft seltener. Ein Vakuum, das die Politik bereitwillig schließt, denn das schafft Raum für politische Selbstverwirklichung.
Die Piraten sind eher anarchisch
Nein, die Piraten sind nicht bürgerlich-liberal, sie sind viel mehr anarchisch. Anarchisch wie das Internet, wo jedermann versteckt hinter gefühlter Anonymität nur effektheischend genug schreien braucht, um Aufregung zu erzeugen. Am Ende steht selten die klügste Lösung, auch nicht die mit der breitesten Akzeptanz, sondern wahrscheinlich die populistischste - der Lauteste gewinnt. Die von den Piraten geforderte Quasi-Abschaffung des Urheberrechts ist da nur eine Kostprobe. Und seien wir ehrlich: Alles erst einmal basisdemokratisch zu diskutieren und abzustimmen, haben die Grünen schon vor 30 Jahren versucht. Es ist schlicht ineffizient. Ob die Piraten einen solchen Lernprozess überhaupt überstehen, ist fraglich. Schließlich identifizieren sie sich bislang durch ihren angeblich neuen Politikstil. Am Ende könnten sie an ihren eigenen Idealen scheitern.
Vielleicht sind die nationalen Entscheidungsstrukturen gar nicht so schlecht. Darin stecken über hundert Jahre Demokratie-Erfahrung und die Lehren aus zwei Weltkriegen. Entscheidend ist, was man daraus macht. Der Schluss, den die etablierten Parteien aus Erfolgen der Piraten ziehen müssen, kann nur einer sein: Mehr Respekt vor den tatsächlichen Bedürfnissen des Volkes und weniger Demut vor Beratern und Lobbyisten - im Moment läuft es umgekehrt.