Die vereinbarte Waffenruhe in Syrien bleibt weiter brüchig. Bei Protestkundgebungen gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad wurden am Freitag nach Angaben der Opposition mindestens drei Menschen getötet. Die befürchteten schweren Zwischenfälle blieben zunächst aus. Gleichwohl wurden aus mehreren Landesteilen, darunter der Grenze zur Türkei, vereinzelte Schießereien gemeldet. Zur Überwachung der Feuerpause wollen die Vereinten Nationen möglichst rasch Beobachter entsenden.
Landesweit gingen einen Tag nach Beginn einer Waffenruhe Tausende Syrer auf die Straßen, um gegen das Regime zu protestieren. Der Verlauf der Kundgebungen war mit Spannung als erste große Bewährungsprobe für die seit Donnerstagmorgen geltende Waffenruhe erwartet worden. Zu tödlichen Zwischenfällen kam es nach Angaben der Opposition in den Provinzen Idlib, Hasaka und Hama.
UN: Eine Million Syrer brauchen dringend Hilfe
Mindestens eine Million Syrer brauchen nach Einschätzung der Vereinten Nationen dringend humanitäre Hilfe. Obwohl sich die politische Situation etwas zu entspannen scheine, müssten die Hilfsorganisationen dringend zu den Notdürftigen gelangen können, sagte UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos am Freitag in New York. Den Helfern müsse voller Zugang gewährt werden, gerade zu den Menschen in den Regionen, die am heftigsten umkämpft gewesen seien.
"Es ist extrem wichtig, dass die Verhandlungen über den Zugang für Helfer von denen zur grundsätzlichen Lösung der Krise abgekoppelt werden", sagte Amos. Der Britin geht es um rein humanitäre Dinge, unabhängig von der politischen Bewertung. Eine Einigung müsse auch den Schutz der Helfer ebenso wie den der Zivilisten beinhalten, betonte sie.
Scharfe Munition auf Demonstranten geschossen
In der nördlichen Provinz Idlib sowie in Randbezirken der Hauptstadt Damaskus hätten Sicherheitskräfte mit scharfer Munition in die Demonstrationen im Anschluss an die Freitagsgebete gefeuert, berichtete die in London ansässige syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Proteste wurden auch aus der Hafenstadt Latakia, der Unruheprovinz Homs sowie der südlichen Provinz Daraa gemeldet.
In der Ortschaft Darkusch nahe der türkischen Grenze schossen Soldaten und Milizionäre nach Angaben von Aktivisten auf Demonstranten und verletzten fünf. Die türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtete von einem etwa einstündigen Schusswechsel am Morgen zwischen Rebellen und der syrischen Armee nahe dem Grenzdorf Chirbet al-Dschoos. Nach Angaben der syrischen Opposition rückte die Armee mit Panzern auf die Ortschaft vor, um Kämpfer der oppositionellen Freien Syrischen Armee zu vertreiben.
Der Leiter der Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, sagte am Freitagvormittag: "Insgesamt hält die Waffenruhe noch immer, in einigen Gebieten ist sie aber gebrochen worden." Am Donnerstag waren nach Angaben von Aktivisten in ganz Syrien trotz der Feuerpause mindestens 22 Menschen getötet worden.
Russland begrüßte die Waffenruhe. "Sie ist zwar brüchig, aber - wie Kofi Annan es selbst ausdrückte - es ist auch so ungewöhnlich für die dortige Situation", sagte Außenminister Sergej Lawrow.
Deutliche Zweifel an einem dauerhaften Ende der Gewalt äußerte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy: "Ich glaube nicht an die Aufrichtigkeit von Baschar al-Assad. Ich glaube leider auch nicht an die Waffenruhe", sagte er im Nachrichtensender i>Télé. Es sei unabdingbar, Beobachter in das Land zu entsenden. "Ich bin überzeugt, dass die internationale Gemeinschaft ihre Verantwortung wahrnehmen muss", sagte Sarkozy. Über humanitäre Korridore müsse denjenigen geholfen werden, die heute von einem Diktator massakriert würden.
UN wollen Beobachter entsenden
Eine Beobachtermission zur Überwachung der Waffenruhe könnte schon in Kürze vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossen werden. Widerstand gegen eine Entsendung gebe es keinen, hieß es nach einer Sitzung des UN-Gremiums in New York. Auch Russland und China, die bislang alle Schritte des Sicherheitsrates gegen Syrien blockiert hatten, unterstützen eine rasche Entsendung. "Es muss schnell jemand da sein, der den Waffenstillstand überwacht", sagte Moskaus UN-Botschafter Witali Tschurkin.
Die zuständigen UN-Stellen bereiten schon seit Wochen eine solche Mission vor. Zumindest ein Erkundungsteam soll gleich nach einem entsprechenden Beschluss des Rates starten können. Es soll nach Angaben aus UN-Kreisen aus bis zu 30 Soldaten bestehen, von denen die meisten schon bei bestehenden UN-Einsätzen im Nahen Osten im Einsatz sind. Bereits nächste Woche könnte dann auch schon die UN-Beobachtermission eingesetzt werden, hieß es in New York.
UNHCR liefert Hilfsgüter für Flüchtlinge in der Türkei
Als Vorbereitung auf eine Flüchtlingswelle begann das UN-Hilfswerk UNHCR, humanitäre Güter in die Türkei zu liefern. Die Organisation habe 1600 Zelte und fast 14.000 Decken bereitgestellt, berichtete die türkische Nachrichtenagentur Anadolu am Freitag. Sie sollen in Depots des türkischen Roten Halbmondes eingelagert werden, um auf eine zunehmende Zahl an Flüchtlingen vorbereitet zu sein.
Die Türkei habe in sieben Flüchtlingslagern bisher etwa 12.000 Zelte errichtet. Türkische Behörden haben mehr als 24.000 syrische Flüchtlinge registriert.
dpa/mh - Bild: Shaam News Network (afp)