Mohammed Merah, der sieben Menschen kaltblütig ermordet hatte, war gestern bei der Erstürmung seiner Wohnung erschossen worden. War er ein Einzeltäter? Oder steckt hinter der Mordserie doch eine Organisation? Vielleicht Al Kaida? Vielleicht aber auch die Ideologie des Salafismus, einer extremen Strömung innerhalb des Islam?
Salafisten machen inzwischen überall von sich reden. In Belgien etwa soll sich der Mann, der vor zehn Tagen einen Brandanschlag auf eine Moschee in Anderlecht verübt hat, ebenfalls als "Salafist" bezeichnet haben. Bei den Inlandsgeheimdiensten räumt man dem Thema "Salafismus" jedenfalls längst oberste Priorität ein.
Salafismus - Was ist das eigentlich?
Was ist genau damit gemeint? Nun, da hat man in den letzten Tagen und Wochen die tollsten Ammenmärchen gehört, sagt Robert Anciaux, Professor an der Freien Universität Brüssel und Islam-Spezialist. Salafismus, darunter verstehe man die wörtliche Auslegung der islamischen Schriften - ohne Interpretationsspielraum. Damit verbunden sei aber auch ein Gesellschaftsprojekt: Man will sozusagen die Welt zurückversetzen in die Zeit von Mohammed und der vier ersten Kalifen - das ist das, was den Salafisten vom reinen Integristen unterscheidet.
Diese Strömung stellt innerhalb des Islam eine kleine Minderheit dar. Eine kleine, aber laute Minderheit. Salafisten tragen ihre Überzeugungen konsequent nach außen. Jüngstes Beispiel in Tunis, wo Salafisten vor einigen Wochen die philosophische Fakultät der örtlichen Universität besetzten, um dagegen zu protestieren, dass Frauen dort keinen Gesichtsschleier (Niqab) tragen dürfen.
Es gibt Fachleute, die hier eine Paralelle ziehen mit der Agitation der SA im Deutschland der Zwanziger- und Dreißigerjahre: eine vergleichsweise kleine Gruppe, die zunächst besonders laut ist, einschüchtert, mitunter auch gewaltbereit ist und vor allem eins tut: Terror verbreiten. Salafisten gebe es natürlich auch in Belgien, sagt Professor Robert Anciaux. Und die belgischen Salafisten polterten genau so laut herum wie ihre Gesinnungsgenossen in anderen Ländern. Um wie viele es sich handelt, das sei schwer zu sagen, sie stellten aber ganz klar eine kleine Minderheit dar.
Sûreté: Haben die Sache im Auge
Eine Minderheit, die eine ganze Gemeinschaft mitunter in Unruhe versetzen kann. "Wir haben das Phänomen im Auge", erklärte denn auch der Chef der Staatssicherheit, Alain Winants, in der VRT. Auch in Belgien sei man verstärkt mit salafistischen Tendenzen konfrontiert. Hier gehe es um schätzungsweise einige hundert Aktivisten und noch einmal einige tausend Sympathisanten.
Aber Vorsicht: Nicht jeder Salafist ist automatisch gewaltbereit, geschweige denn ein Terrorist, betont Professor Anciaux. Die meisten von ihnen versuchen die Menschen mit Worten wieder zum "reinen Islam" zu führen. Einige wenige treiben die Radikalisierung aber auf die Spitze und werden zu Dschihadisten - Glaubenskriegern. Zweifellos stelle der Salafismus einen guten Nährboden dar, der Fanatiker wie etwa den Killer von Toulouse hervorbringen kann.
Und genau dieses Phänomen ist für die Inlandsgeheimdienste quasi der Albtraum. Man sehe inzwischen keine organisierten Terrorgruppen mehr, sagt Sûreté-Chef Alain Winants. Konfrontiert sei man vielmehr mit kleinen, verstreuten Gruppen, manchmal gar Einzelpersonen, die sich vage auf Al Kaida berufen, aber keinen direkte Verbindung zu der Terrorgruppe aufweisen. Hier spricht man oft vom "einsamen Wolf" - von einer Person, die sich quasi im stillen Kämmerlein radikalisiert.
Ein einsamer Wolf, der entsprechend schwer aufzuspüren ist - und der eben seinen ideologischen Unterbau mitunter im Salafismus findet. "Aber noch mal zur Erinnerung", sagt Professor Anciaux, "es gibt nicht DEN Moslem, genauso wenig, wie andere Gesellschaftsgruppen einheitlich wären. Und die Salafisten bilden eine kleine Minderheit, die alle stört: Muslime und Nicht-Muslime."
Bild: Fethi Belaid (afp)