Die heftig umstrittene Verleihung des Bochumer «Steiger Awards» an den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan ist ausgefallen. Als Grund gab der Veranstalter an, dass Erdogan seinen Deutschland-Besuch kurzfristig abgesagt hatte.
Trotzdem protestierten am Samstag 25.000 Gegner des konservativen Regierungschefs, die meisten von ihnen Angehörige der alevitischen Minderheit. Sie verbuchten Erdogans Fernbleiben als ihren Erfolg: Der Ministerpräsident habe sich den massiven Protesten im Ruhrgebiet nicht aussetzen wollen.
Die Begründung für die Absage Erdogans - der Absturz eines türkischen Militärhubschraubers am Freitag in Afghanistan - sei für ihn eine «Schutzbehauptung», sagte der Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde, Ali Dogan. Auf sieben Kundgebungen protestierten Aleviten, Kurden und Armenier gegen die Unterdrückung von Minderheiten in der Türkei. Dabei blieb alles friedlich, wie die Polizei sagte.
Versteigert
Die Demonstranten marschierten mit Trillerpfeifen und Bannern die zwei Kilometer vom Bochumer Fußballstadion zum Bergbaumuseum. «Wir fühlen uns nicht von Erdogan repräsentiert. Er ist ein lupenreiner Antidemokrat, der keinen Preis für Humanismus und Geradlinigkeit bekommen darf», sagte Dogan. Auf den Plakaten standen Sprüche wie: «Hier werden die Menschenrechte verSTEIGERt» oder «Erdogan, du Absteiger».
Erdogan sollte den «Steiger Award» - eine Auszeichnung für Menschlichkeit und Toleranz - in der Kategorie «Europa» erhalten, stellvertretend für das türkische Volk, wie der Veranstalter erläuterte. Für die Laudatio war Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vorgesehen. Die Kategorie wurde nach der Absage Erdogans aus dem Programm für die diesjährige Preisvergabe gestrichen. Eine nachträgliche Preisverleihung sei nicht geplant, hieß es.
Charity und Toleranz
Star des Abends war Königin Silvia von Schweden in einem leuchtend blauen Kleid. Sie erhielt einen Preis in der Kategorie «Charity» und sagte: «Wir alle wissen, dass Kinder die verletzlichsten Mitglieder unserer Gesellschaft sind. Sie sind es, die als erste unschuldig und machtlos unter Missständen zu leiden haben.»
Der «Steiger Award» ehrt nach Angaben der Veranstalter Menschen, «die sich durch Geradlinigkeit, Offenheit, Menschlichkeit und Toleranz auszeichnen». Außerdem soll der Preis das Ruhrgebiet kulturell, sozial und gesellschaftlich fördern. Ins Leben gerufen hat ihn der Medienunternehmer Sascha Hellen. Der Preis ist undotiert und wird seit 2005 jährlich in Bochum verliehen.
Insgesamt wurde die von privaten Organisatoren ausgelobte Trophäe in diesem Jahr in neun Kategorien vergeben. In der Kategorie «Toleranz» ging die Auszeichnung an den ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler. Geehrt wurden auch Designer Wolfgang Joop, Journalist Peter Kloeppel, der Musiker Tim Bendzko, die Schauspieler Hannes Jaenicke und Christine Neubauer sowie der Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker, Steven Sloane. Der ebenfalls für einen der Preise vorgesehene Musiker Lou Reed hatte seine Absage mit gesundheitlichen Problemen begründet.
Der Preis ist nach der traditionellen Aufsichtsperson im Bergbau, dem Steiger, benannt. Ein Reviersteiger teilt unter Tage die Arbeitsplätze der Bergleute ein und kontrolliert die Arbeit und Sicherheit unter Tage. Er steht für die Geradlinigkeit und Offenheit der Kumpel im Bergwerk.
dpa - Bild: Marcus Simaitis (afp)