Für Jan Ponsen und Jelle Visser, die betroffenen Fernsehleute aus den Niederlanden, steht die Welt Kopf. Sie können nicht begreifen, dass sie heute (Donnerstag) überhaupt vor dem Amtsgericht Eschweiler erscheinen müssen.
Es sei doch absurd, erklärt der "Eenvandaag"-Reporter Visser im flämischen Standaard, dass ausgerechnet der im März vom Aachener Langericht zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilte, inzwischen 90-jährige überführte SS-Verbrecher eine Bühne bekomme, um die Grenzen der Pressefreiheit vor einem deutschen Gericht auszuloten.
Die Journalisten hatten im September 2009 den damals 88-jährigen Kriegsverbrecher im Altenheim in Eschweiler mit versteckter Kamera interviewt - was an sich einen einen klaren Verstoß gegen das Prinzip "Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes" darstellt. Zuwiderhandlungen können mit einer bis zu drei jährigen Haft bestraft werden.
Dass es dazu kommen wird und die Journalisten in den Knast wandern, daran glaubt aber niemand ernsthaft. Die Öffentlichkeit in den Niederlanden war nach dem Bekanntwerden der Klage empört aufgeschreckt. Eine durchaus verständliche Reaktion, wenn man weiß, dass es im Fall Boere viele Jahrzehnte dauerte, bis die deutsche Justiz überhaupt aktiv wurde. Sogar die "Washington Post" griff vor zwei Jahren die Klage gegen die Journalisten auf. Angehörige der Opfer und deren Verbände in den Niederlanden reagierten mit Kopfschütteln und großem Frust.
Boere ist mit seiner Klage auf Schändung seiner Privatsphäre vor dem Niederländischen Rat für Journalistik bereits gescheitert. Wenn einem Journalisten keine andere Möglichkeit bleibe, einen schweren Missstand zu beleuchten, könne er im Ausnahmefall von der Deontologie-Regel abweichen, urteilte der Presserat. Sie hätten alles mögliche auf offiziellen Kanälen unternommen, die versteckte Kamera sei zur Realisierung der Reportage die einzige Möglichkeit gewesen, so die Reporter.
Auch der deutsche Journalistenverband steht hinter den Kollegen des niederländischen Fernsehens, ebenso die Enthüllungs-Legende Günther Wallraff, der die Anklage einen Skandal nennt. Für den unwahrscheinlichen Fall einer Verurteilung wollen Ponsen und Visser ihren Standpunkt bis zu den höchsten richterlichen Instanzen durchfechten. Im Falle einer Verurteilung und der Wahl zwischen einer Geldbuße und einer Haftstrafe sind die Reporter zudem fest entschlossen, ins Gefängnis zu gehen. Aus Prinzip - und um zu beweisen, welche Absurditäten in der Welt 2012 immer noch möglich sind.
l1/standaard/rkr - Archivbild: Oliver Berg (epa)