Vom deutschen Bundespräsidenten selbst: halbherzige Entschuldigungen, Erklärungen, Eingeständnisse per Salamitaktik. Ist das hohe Amt beschädigt? Welche Rolle spielen die Medien? Und: Ist die Pressefreiheit in Gefahr?
Damit kein Missverständnis aufkommt: Der deutsche Bundespräsident ist kein Opfer. Er hätte schon vor Wochen reinen Tisch machen müssen: offensiv und selbstbewusst. Die Diskussion wäre längst beendet...Dass Wulff nur zögerlich, halbherzig und auf Druck reagierte, beförderte die Dynamik der Affäre. War er nur schlecht beraten oder sogar beratungsresistent? Tatsache ist: Die Anwaltskanzlei, die ihn vertritt, gehört zu den renommiertesten weltweit - ausgezeichnet mit den höchsten Preisen und Ehren.
Aber die juristische ist nur eine von beiden Seiten der Medaille. In diesem Fall scheint klar: Im rechtlichen Sinn hat Wulff sich offensichtlich keines nennenswerten Vergehens schuldig gemacht. Doch: Was ist mit der Moral? Der Bundespräsident Deutschlands hat de facto keine direkte politische Macht: Er ist zu allererst der oberste Repräsentant der Republik und moralische Instanz. Also ist zu fragen: Ist er diesem Anspruch gerecht geworden?
Vorwürfe stammen aus Zeiten als Ministerpräsident Niedersachsens
Die meisten Vorwürfe gegen Wulff gehen auf Zeiten zurück, als er noch Ministerpräsident Niedersachsens war: Urlaube, gesponsert von reichen Freunden, ein besonders günstiger Hauskredit, bereitgestellt ebenfalls von einem ihm freundschaftlich verbundenen Unternehmer-Ehepaar, ein Air-Berlin-Flug erster Klasse, obwohl nur "Economy", also "Touristenklasse" gebucht war.
Und dann der Droh-, Bitt und Fleh-Anruf bei Bild-Chefredakteur Kai Dieckmann mit dem Ziel der Verhinderung oder Aufschiebung eines Berichtes über die Vorwürfe. Ist das eines Bundespräsidenten würdig? Die Kardinalfrage lautet jedoch: Hat sich Wulff in Abhängigkeiten begeben, die sein Amt beeinflussen und damit beschädigen könnten? Die Professorin, Politik- und Unternehmerberaterin Gertrud Höhler hat eine Erklärung versucht: Wulff, als Bundespräsident gegen heftigste Widerstände und einen gesellschaftlichen Konsenskandidaten Gauck durchgesetzt von Bundeskanzlerin Merkel, betrachte sein Amt als Beute, so Höhler.
Entsprechend verhalte er sich jetzt - das mühsam Errungene hartnäckig verteidigend. So, wie es der aus kleinen Verhältnissen stammende Emporkömmling gelernt habe. Gebetsmühlenartig versichert er, niemandem jemals einen ungebührenden Vorteil gewährt zu haben. Gebetsmühlenartig bekräftigt er seine Wertschätzung von Presse- und Meinungsfreiheit. Und er stellt klar: An Rücktritt habe er keinen Moment lang gedacht.
Dass er im juristischen Sinn schwerwiegend gefehlt hat, wird kaum nachzuweisen sein. Seine Entschuldigung wurde vom obersten Bildredakteur angenommen. Wie ernst sie gemeint war, wie ernst es ihm ist mit dem Hochhalten von Werten wie Vertrauen, Verlässlichkeit, Ehrlichkeit und Unabhängigkeit - darüber kann jeder sich sein eigenes Bild machen.
Wulffs Rechtsanwälte haben genug damit zu tun, das juristische Terrain zu säubern. Ihre Beratung in Sachen "Umgang mit den Medien" ist, wenn sie denn Teil des Auftrags ist, gelinde gesagt ausbaufähig.
Amt des Bundespräsidenten für Wulff zu groß
Ganz offensichtlich ist, dass dieses Amt für Wulff zu groß ist. Nach eineinhalb Jahren Amtszeit ist lediglich eine große Rede in Erinnerung geblieben - und ein bis zum Aufkochen der Affäre durchaus freundliches, gewinnendes Auftreten. Die Contenance wahrt er - bis auf den Mailbox-Ausrutscher - immer noch. Dabei würde er am liebsten lospoltern, hat man den Eindruck.
Lospoltern gegen diese Bildzeitung, die ihn lange Zeit wohlwollend begleitete und mit der er ins Bett ging. Deren Massenwirkung er nutzte. Die seine Scheidung schönschrieb. Die seine neue junge Frau erst hoffähig machte... Die Bildzeitung, die dann plötzlich ein anderes Spiel trieb und auf immer kritischere Distanz ging. Lospoltern gegen die vielen scheinheiligen Politiker aller Couleur, die sich als Hüter von Moral und Werten gerieren, denen sie selbst nicht gerecht werden. Lospoltern gegen auflagen- und quotengeile Journalisten, die sich selbst gerne einladen lassen von Unternehmern und Politikern, zu denen sie besser Abstand hielten. Lospoltern gegen all die Besserwisser und Saubermänner. Lospoltern gegen die Drahtzieher einer diffusen Kampagne, deren Hintergründe und Ziele undurchschaubar sind?
Zahlreiche Fragen kommen auf
Darf man keine reichen Freunde haben als Bundespräsident? Muss man diesen Freunden, wenn sie einen als Feriengast aufnehmen, ein Übernachtungsgeld aufzwingen? Um unantastbar zu bleiben, wie es die Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios Bettina Schausten in einem unsäglich schwach geführten Interview mit dem Bundespräsidenten suggerierte...
Darf man nicht - auch als ranghöchster Repräsentant eines Landes - einmal die Kontrolle verlieren, wenn die Gefahr besteht, dass auch das Privateste vom Privaten an die Öffentlichkeit gezerrt wird?
Ist es nicht auch eine Neid-Diskussion, die da in Deutschland geführt wird? Eine Debatte, die an sich dem Land und dem hohen Amt Schaden zufügt. Es ist zudem die Überhöhung eines gierigen, oft hetzenden Massenblattes, das noch nie eine moralische Instanz war. Die Freiheit, die dieses Boulevardmedium meint und praktiziert, hat mit dem Sinn der Pressefreiheit nichts zu tun. Und die Handhabung des Themas durch öffentlich-rechtliche Redakteure in der Bundesrepublik hat den Geschmack von Kleinkariertheit und Peinlichkeit. Nicht nur dem deutschen Bundespräsidenten mangelt es an Größe. Der kleine Wulff ist weiter geschrumpft. Das Amt, das er nicht auszufüllen vermag, nimmt weiter Schaden. Und das ist leider auch das Werk unverantwortlicher Journalisten.
Hallo Herr Schroeder
Ich denke nicht, dass die Diskussion beendet wäre, wenn Herr Wulff schon vor Wochen „reinen Tisch“, wie sie sagen, gemacht hätte.
Aus meiner Sicht gibt es keinen reinen Tisch in der Sache, und jeder „Normaldenkendende“ müsste in einem demokratischen Gefüge auch verstehen, dass die Sache „stinkt“. Die Diskussion wäre auch mit dem was er im Interview gesagt hat nicht beendet, und das ist gut so!
Warum muss denn eine integre Person, durch eine renommierte Rechtsanwaltskanzlei beraten werden. Damit der „normal denkende“ Bürger an der Nase rum geführt wird ?
Wenn ich als Politiker integer bin, und sein soll, brauche ich keine Rechtsanwälte in solchen Angelegenheiten.
Den wichtigsten Punkt nennen Sie auch: die „Moral“!
Sein „Mailboxausrutscher“, zeigt es nicht seinen wahren Charakter der Einflussnahme (kraft seines Amtes) und des Drucks gegenüber der Presse, um sein Amt zu wahren und die Sicherheit zu haben in die Geschichtsbücher einzugehen.
Sie schliessen ab, mit einer Quintessenz, die nur die “Bild“ auf den Plan ruft. (die ich nicht lese und von der Are der Lesermanipulation ablehne).
Wenn ich dieses Amt des Präsidenten eines Staates übernehme gibt es kaum noch etwas Privates( ausser Kinder, Familie…aber Urlaub auf Einladung schon nicht mehr)
Ich denke es ist gut so. Denn die Leute, die diese ämter bekleiden, wissen ja worauf sie sich einlassen, und sie sollten auch eine Vorbildfunktion haben. Der Präsident repräsentiert das Deutsche Volk.
Ich wollte nicht von jemandem repräsentiert sein, wo der Verdacht der persönlichen Bereicherung beseht (wodurch auch immer: finanzielle Bevorteilungen meist, aber auch vieles andere..).
Sie suggerieren, durch die vielen Fragenzeichen, erstens keine Meinung und zweitens den Schutz des Handelns von Herrn Wulff. Ich erwarte eine Meinung von einem Journalisten, vor allem, wenn er (Sie) Kollegen (des ZDF) ein schwaches Metier bescheinigen (Originalton: „einem unsäglich schwach geführten Interview)“.
Wenn ‚Bild“ keine moralische Instanz ist (ich lese dieses Blatt nicht, nehme es aber wahr), wie ich Ihnen voll beipflichten kann, so hat die „Bild“ doch nicht nur bei Wulff (sondern auch bei Guttenberg, zuerst den Teppich ausgelegt um dann nur wegen der Auflagszahlen im Sinne eben dieser Auflage kritisch offen zu legen), ihre Pflicht als Presseorgan wahrgenommen.
Geschieht das auch in Ostbelgien? (auch ein vielsagendes Fragezeichen) .Ich erlaube mir es stark zu bezweifeln. Aber es ist der grosser Nachteil einer so, kleinen Gemeinschaft und herr Steins ist leider nicth mehr unter uns.
Als Leser, Zuschauer, Zuhörer ist es wichtig aus dieser „Art“ („Bild“) von Berichterstattung die richtigen Schlüsse zu ziehen, und auch wenn man als Außenstehender (BRF) diese Angelegenheiten kommentiert.
Ist es nicht auch unverantwortlich, in der Schlussfolgerung des Kommentares, die Machenschaft von „Bild“ in den Vordergrund zu stellen? (die Antwort aus meiner Sicht, ich halte es für unverantwortlichen)
Dem Zuhörer bleibt meist die Schlussfolgerung (letzter Absatz Ihrer Ausführungen “eines gierigen, oft hetzenden Massenblattes, das noch nie eine moralische Instanz war“ – ich pflichte Ihnen sogar bei) und nicht die journalistische Entwicklung hierzu.
Mir blieb aus Ihrem Bericht lediglich die Kritik an „Bild“ und nicht die Kritik an den Fakten die Wulff für mich als Präsidenten untragbar machen.
Meine abschließende Meinung: Wulff beschadet das Amt des Deutschen Bundespräsidenten und hätte Größe bewiesen durch seinen Rücktritt. Die Einzelheiten dieser „Affäre“ machen deutlich, dass er durch sein politisches Mandat private Vorteile in Anspruch genommen hat, was nicht sein darf.
Sie schreiben mir aus der Seele - mal ein intelligenter Journalismus, der benennt:
* die Kritik an Wulff reduziert auf das Wesentliche; frei von Neiddebatte
* die Kritik unserer öffentlich-rechtlichen Redakteure
* das Nachfragen nach den Motiven von "Bild"
Danke, Herr Schroeder
P.S:
Meine Anmerkung: Passt wunderbar zu einer Comeback-Kampagne für Guttenberg, wenn jetzt vermittelt wird, daß ja alle ein bischen Dreck am Stecken haben ...
Ich möchte dem intelligenten und treffenden Kommentar von Rudi Schroeder in fast allen Punkten beipflichten. Eine Neiddebatte kann ich jedoch diesmal allenfalls am Rande erkennen.
Wulf hat nicht das Format und die charakterlichen Eigenschaften, dieses Amt auszufüllen und zu bereichern. Dies ist es, was ihm zum Verhängnis wird.
Die Kritik an dem Interview der ARD und ZDF-Journalisten kann ich nur teilweise nachvollziehen. (siehe Diskussion über die Übernachtung bei "Freunden")
Verglichen mit dem von ostbelgischen Journalisten oftmals praktizierten "Verlautbarungsjournalismus" und dem Abhandenkommen jeglicher hintergründiger journalistischer Recherche in ostbelgischen gesellschaftspolitischen Angelegenheiten, erscheint mir diese Kritik zumindest etwas überzogen.
Als ich den Kommentar heute Morgen im BRF hörte, dachte ich zunächst, ich hätte mich verhört : " ein unsäglich schwach geführtes Interview" ? Hier ist ihnen wohl im Eifer der Gaul durchgegangen. Ich denke, der BRF sollte sich angesichts seiner tollen Interviews mal selbst hinterfragen. Zumindest wurde von Frau Schausten kein Blatt vor den Mund genommen und die Dinge mbeim Namen genannt. Herr Schroeder, ich glaube sie überschätzen sich, ein solches Statement als generelle Bewertung abzugeben. Würden sie sich trauen, solch deutliche Fragen an rangähnliche Persönlichkeiten in Belgien zu stellen ? Meiner Meinung nach hätte unser BRF nicht den Mumm dazu. Und ob das Interview journalistisch gut oder schlecht war würde ich dann doch nicht aus der belgischen Provinz beurteilt wissen wollen.
Ein bischen Bescheidenheit wäre nicht schlecht.
Besten Dank, Herr Schroeder, für diesen bemerkenswerten Kommentar aus (ost)belgischer Sicht, den ich leider erst ein paar Tage nach seinem Erscheinen gelesen habe. Ich stimme Ihren Bewertungen in vielen Punkten zu, indessen vermag ich der ins Spiel gebrachten Neid-Debatte nicht zu folgen.
Ungeachtet der Frage, ob es in der Vergangenheit oder aktuell ein Tun, Dulden oder Unterlassen des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten und gegenwärtigen deutschen Bundespräsidenten gegeben hat, das justitiabel, also (straf)rechtlich relevant sein könnte: Herkömmliche Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst ebenso wie in der freien Wirtschaft sind schon wegen sehr viel geringfügiger Vorkommnisse abgemahnt oder sogar gekündigt worden...
Es ist schon bemerkenswert bis unerträglich, wie hartnäckig Herr Wulff am Sessel des obersten Repräsentanten der Bundesrepublik klebt. Einen derartigen "Pattex-Präsidenten", dem es am Gespür für den einzigen noch möglichen, längst überfälligen Schritt mangelt, hat Deutschland noch nicht gesehen und auch nicht verdient. Es ist höchste Zeit, den Rücktritt einzureichen! Wie - offiziell bisher dementierten - Medienberichten zu entnehmen ist, wird hinter den Kulissen bereits über die Nachfolgefrage gesprochen.
Ich würde mir wünschen, dass in der Nach-Wulff-Ära Herr Joachim Gauck, einer der integeren und mutigen Vorkämpfer der friedlichen Revolution in der früheren DDR, dem Amt des Bundespräsidenten seine Autorität und Würde zurückgibt.
Persönlich wünsche ich mir auch den Herrn Joachim Gauck als Wulff Nachfolger. Mittlerweile hat Wulff auch bei mir zu einem negativen Beigeschmack geführt
Ich wüsste mal gerne, was wieder für ein Aufstand in diesem Forum geprobt würde, wenn sich hier ein Bundesdeutscher einen Kommentar über die Verfehlungen eines belgischen Politikers erlauben würde. In solchen Fällen habe ich hier schon die tollsten Beschimpfungen gelesen.
Daraus lerne ich mal wieder: Wenn zwei das Gleiche tun...
Ganz bei Ihnen, Herr Dobbelstein. Nicht dass wir keine Meinung zu Wulff haben dürften, aber dass wir nicht so allergisch reagieren sollen, wenn auch mal ein Deutscher Bürger oder Kommentator seine Meinung über uns und unsere Politiker zum Ausdruck bringt. In dieser Sparte sind wir hier in der DG nämlich Weltmeister...