Spätestens die jüngste innenpolitische Krise hat in weiten Teilen der Bevölkerung allgemeines Kopfschütteln ausgelöst. Zweifel wachsen an der Fähigkeit des politischen Personals, die Probleme der Menschen zu lösen.
Jetzt gibt es einen Gegenentwurf: In Italien und Griechenland sind inzwischen so genannte "Technokraten-Regierungen" im Amt. Wie demokratisch ist das? Sind Fachleute grundsätzlich fähiger als Politiker?
"Politiker in den Abstellraum, Technokraten an die Macht", so lautet in dieser Woche der bewusst provokative Titel der Aufmachergeschichte des Nachrichtenmagazins "Le Vif - L'Express". "Was wäre wenn", fragte sich unlängst auch die RTBF: Was wäre, wenn auch in Belgien die Technokraten die Macht übernähmen?
Techno...was? Naja, Fachleute eben, sagt Jean Faniel, Politikwissenschaftler am Studienzentrum CRISP. Das wäre also eine Regierung, die ganz oder zum Teil aus Technikern besteht, also Menschen, bei denen man ein ein gewisses Fachwissen voraussetzt.
Armutszeugnis
Politiker durch Fachleute zu ersetzen, damit stellt sich wohl jede Demokratie ein Armutszeugnis aus. Man vermittele den Eindruck, dass die Demokratie sozusagen von Experten begleitet werden müsse, sagt CRISP-Forscher Jean Faniel. Tauscht man Politiker durch Fachleute aus, dann suggeriert man zudem damit, dass der Experte notwendigerweise weiß, wie man's richtig macht.
Mehr noch, sagt Faniel: Man tut so als gebe es nur eine Alternative. Und damit höhle man eigentlich einen Grundsatz der Demokratie aus, der da lautet: Es kann, es darf verschiedene Meinungen geben, ebenso wie verschiedene Gesellschaftsmodelle. Tatsächlich ist Ökonomie keine exakte Wissenschaft. Der New-Deal von US-Präsident Roosevelt in den 30er Jahren lief gegen die gängigen Wirtschaftsmodelle der damaligen Zeit, hat Amerika dennoch wieder aufgerichtet.
Wer glaubt, Technokraten wären frei von jeder politischen Couleur, der irrt sich gewaltig. Für die neuen Premiers von Italien und Griechenland gelte gar das Gegenteil: Was die Herren Monti und Papademos verbindet, ist, dass sie beide für die US-Investment-Bank Goldman-Sachs gearbeitet haben. Über die angeblich apolitische Grundeinstellung dieser Personen könne man sich also durchaus Fragen stellen.
Politischer Stempel?
In Belgien wäre das noch viel ausgeprägter, was eine Technokraten-Regierung hierzulande quasi undenkbar macht. Konkret: Sie werden in diesem Land kaum einen Experten finden, der keinen politischen Stempel trägt, sagt Jean Faniel. Hier handele es sich um eine belgische Eigenheit. Anders gesagt: Jeder Technokrat stünde letztlich für die eine oder andere Partei.
Warum dann doch der Ruf nach anderen Führungspersönlichkeiten? Ist es nicht doch so, dass gerade im Belgien von heute die Politiker sich quasi selbst abschaffen, eigentlich durch ihre Unfähigkeit, Kompromisse zu schließen, dafür sorgen, dass die Bürger ihr Heil in vermeintlichen Experten suchen?
In der Konsequenz mag das stimmen, sagt Jean Faniel. Das habe aber damit zu tun, dass die Politiker schlecht kommunizierten: Würden sie den Menschen sagen, worum es bei den Verhandlungen im Einzelnen geht, wer für welche Einschnitte steht, was die Menschen erwartet, wenn der oder der Recht behält, dann würde der Bürger womöglich gleich viel besser verstehen, warum man sich scheinbar endlos streitet.
Bild: Claudio Onorati (epa)