Nach den ersten freien Wahlen in Tunesien hat es am Dienstag kaum noch Zweifel an einem deutlichen Sieg der islamistischen Ennahdha-Bewegung gegeben.
Im Laufe des Tages veröffentlichte Ergebnisse aus einzelnen Wahlkreisen sahen die Partei von Rachid Ghannouchi nahezu ausnahmslos als stärkste politische Kraft.
Ennahdha-Wahlkampfleiter Abelhamid Jelassi teilte mit, man habe nach eigener Zählung mehr als 30 Prozent aller Stimmen erhalten. Das vorläufige offizielle Endergebnis sollte frühestens am Abend veröffentlicht werden.
Die Ennahdha war unter dem im Januar gestürzten Herrscher Zine el Abidine Ben Ali verboten und ist in der Bevölkerung bis heute stark umstritten. Liberale Tunesier fürchten im Falle einer islamistischen Regierung einen dramatischen Wandel des Landes.
Im Wahlkampf verkaufte sich die Ennahdha-Bewegung allerdings als moderne Partei nach dem Vorbild der türkischen AKP. Auch bei in Deutschland lebenden Tunesiern kam sie mit diesem Kurs offensichtlich gut an. Nach offiziellen Angaben erhielt sie im «Wahlkreis» Bundesrepublik rund 43 Prozent der Stimmen und holte damit mühelos den zu vergebenden Sitz in der verfassungsgebenden Versammlung. Auch in Frankreich lag sie klar vorn.
Gottesstaat?
Nach Angaben des deutschen Islamwissenschaftlers Mathias Rohe gibt es keine Anzeichen für einen künftigen Gottesstaat in Tunesien. Er könne sich nicht vorstellen, dass ein strikter Scharia-Islamismus in einer vergleichsweise liberalen Gesellschaft wie der tunesischen durchsetzbar sei, sagte der Jurist und Direktor des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa im Deutschlandradio Kultur.
Sowohl in Tunesien als auch im Ausland wurde die Abstimmung als wichtige Bewährungsprobe für die Revolutionsbewegung in der ganzen arabischen Welt gewertet. Neun Monate nach dem Sturz von Langzeitherrscher Ben Ali waren rund sieben Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, die 217 Mitglieder einer verfassungsgebenden Versammlung zu bestimmen. Sie soll einen neuen Übergangspräsidenten ernennen und ein Grundgesetz erarbeiten.
Für die 217 Sitze in der Versammlung kandidierten insgesamt 11.618 Bewerber. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hatte den Wahlverlauf gelobt.
dpa - Bild: str (epa)