Kunst verlangt Einzigartigkeit. Doch in Zeiten, in denen alles gemalt und gesagt zu sein scheint, kann dieser Anspruch nur schwer erfüllt werden, ist die Erfahrung des Leiters des Museums für Neue Kunst in Karlsruhe, Andreas Beitin.
Immer mehr Künstler nutzten deshalb den Rückgriff auf große Meister oder Alltagsgegenstände.
Um diese These zu untermalen, hat Beitin 103 Werke von rund 50 Künstlern für die Ausstellung «Hirschfaktor: Die Kunst des Zitierens» zusammengetragen, die er am Mittwoch präsentierte. Die Schau ist ab Samstag bis April 2012 zu sehen.
Die Palette der Künstler reicht von Andy Warhol über Tobias Rehberger und Sylvie Fleury bis zu Danh Vo. Warhol etwa ist mit verfremdeten Porträts von Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich dem Großen sowie 40 Zwei-Dollar-Noten vertreten.
Auch Hans-Peter Feldmann hat den Dollar zum Kunstwerk ernannt. Erst bei näherem Hinsehen erkennt der Betrachter, dass George Washington eine Clownsnase trägt. «Ironie und Humor ist fast immer beim Zitieren dabei», kommentiert Kurator Beitin.
Original und Fälschung
Die Ausstellung stellt die Frage, was eigentlich ein Original bedeutet. Elaine Sturtevant etwa baut Werke anderer Künstler exakt nach - in Karlsruhe steht ein Flugzeug-Modell nach Anselm Kiefer. Ist es ein Plagiat oder doch eigene Kunst? «Gibt es in der Bilderflut der Moderne überhaupt noch einen Anspruch auf Originalität?», fragt Beitin und gibt auch gleich die Antwort: «In der heutigen Zeit ist es schwierig, wirklich noch etwas Innovatives zu leisten. Deshalb suchen die Künstler die Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt.»
Der Kurator hat vier große Themengebiete ausgemacht, auf die Künstler gerne Bezug nehmen: Auf die Werke anderer, auf Religion und Politik, auf Design und Architektur und nicht zuletzt auf Werbung. So hat Sylvie Fleury einfach die Handtasche eines bekannten Herstellers in Bronze gegossen und auf einen Fellsockel gestellt, und Daniel Pflumm hat aus verschiedenen Werbelogos ein grellbuntes Video geschnitten, das eindrücklich die Gehirnwäsche des modernen Marketings illustriert.
Der Hirschfaktor?
Was aber bitte ist der Hirschfaktor? Er stammt von dem amerikanischen Physiker Jorge Hirsch und bestimmt den Wert eines Wissenschaftlers. Dafür wird gezählt, wie viele Publikationen er veröffentlicht hat und wie oft daraus zitiert wird. Den größten Hirschfaktor in der Ausstellung besitzt Piet Mondrian. Seine Streifenbilder werden gleich von mehreren Künstlern zitiert. Mathieu Mercier etwa hat auf einem schwarzen Regal rote Handtücher, eine gelbe Plastikrolle und eine blaue Box so drapiert, dass es von weitem wie eine Anordnung des holländischen Künstlers aussieht.
Sozusagen das doppelte Zitat gelingt Jörg Sasse und Sylvie Fleury. Sie haben Alltagsgegenstände mit Mondrian-Motiven aufgespürt, die sie jetzt wieder der Kunst zurückgeben. Sasse hat dafür einen Vorhang mit roten, gelben und blauen Quadraten aus den 1950er Jahren fotografiert, der stark an den holländischen Maler erinnert. Und von Fleury stammt ein Haufen mit 30 Paar Stiefeln, die vom Hersteller mit Mondrian-Motiven versehen wurden.
dpa - Bild: Uli Deck (epa)