Die europäische Schuldenkrise könnte die Europäische Zentralbank (EZB) schon bald erneut zum Handeln zwingen. Konkret deutete der Notenbankchef Belgiens die Möglichkeit zusätzlicher Liquiditätshilfen für die Geschäftsbanken an.
Denkbar sei die Wiederauflage von Refinanzierungsgeschäften mit einer Laufzeit von einem Jahr oder gar länger. Derart lange Geschäfte hatte die Notenbank in der Finanzkrise angeboten.
Gefragt nach möglichen Zinssenkungen sagte Coene: "Die EZB hat niemals etwas im Vorhinein ausgeschlossen." Dies ist eine typische Formulierung der Notenbank, auf die auch EZB-Chef Jean-Claude Trichet regelmäßig zurückgreift. Die EZB will sich damit alle geldpolitischen Optionen offen halten.
Zuletzt hatte die EZB am 8. September entschieden, ihren Leitzins auf dem aktuellen Niveau von 1,5 Prozent zu lassen - und auf deutlich gestiegene "Abwärtsgefahren" für das Wirtschaftswachstum hingewiesen. Die EZB hatte den Leitzins im April und Juli um je 0,25 Punkte auf das jetzige Niveau erhöht.
RBS erwartet Verringerung um 0,5 Punkte
Während die meisten Experten bislang nicht mit Zinssenkungen im Währungsraum rechnen, prescht die Royal Bank of Scotland vor: Die Ökonomen der RBS rechnen bereits für die nächste EZB-Zinssitzung im Oktober mit einem großen Zinsschritt nach unten. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 Prozent werde die EZB den Leitzins Anfang Oktober um 0,5 Punkte verringern, heißt es in einer Studie. Damit würde der Leitzins wieder auf das bisherige Rekordtief von 1,0 Prozent sinken, und die EZB hätte ihre beiden Zinserhöhungen von diesem Jahr rückgängig gemacht.
Im EZB-Rat, in dem neben dem Direktorium der EZB um Trichet die Notenbankchefs aller 17 Euroländer sitzen, würde nach RBS-Einschätzung eine Zinssenkung nicht auf einhellige Zustimmung treffen. Sollte die EZB den Leitzins nicht bereits im Oktober senken, sei fest mit einem Zinsschritt nach unten im November zu rechnen. Möglicherweise werde die EZB dann sogar eine außerordentliche Zinssitzung vor dem regulären Termin Anfang November einberufen. Die RBS begründet ihre Einschätzung in erster Linie mit der europäischen Schuldenkrise, der schlechten Stimmung an den Finanzmärkten und einer hohen Rezessionsgefahr im Währungsraum.
Bislang legt die EZB großen Wert darauf, dass ihre Zinspolitik unabhängig von etwaigen Krisenmaßnahmen gesehen wird. Im Angesicht der Schuldenkrise versorgt sie die Geschäftsbanken großzügig mit Liquidität und kauft Staatsanleihen angeschlagener Euro-Länder. Zuletzt hatte sie die Anleihenkäufe auch auf die dritt- und viertgrößten Euro-Länder Italien und Spanien ausgeweitet.
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