Särge, Konflikte, Armut: Die diesjährige Biennale von Lyon grübelt über die Welt von heute nach und macht sich Sorgen um Gegenwart und Zukunft. Ein weites Feld, das die Kunstschau jedoch durch ein klares Konzept unter dem Titel "Eine schreckliche Schönheit ist geboren" vereint.
Doch wie kann Schönheit schrecklich sein? Bis zum 31. Dezember versuchen 78 Künstler aus aller Welt diesen vermeintlichen Gegensatz bildhaft aufzulösen: Mit Werken, die von raumgreifenden Installationen bis zu expressionistisch-surrealistischen Malereien reichen und in Lyon den Diskurs künstlerischer und zeitkritischer Fragen ankurbeln.
Der Titel geht auf die wiederkehrende Zeile des Gedichts "Eastern, 1916" des irischen Dichters William Butler Yeats zurück. Er beschreibt darin die blutige Niederschlagung der Erhebung irischer Nationalisten gegen die englische Vorherrschaft. Die schreckliche Schönheit liegt für den Liternaturnobelpreisträger von 1923 in dem Opfer, das die Iren auf sich nahmen, um sich von England abzusetzen. Freiheit wird mit dem Tod bezahlt.
"Unsere Wirklichkeit ist schön und tragisch zugleich", erklärte Thierry Raspail, Direktor der Biennale die postmoderne Welt. Mit einem so weit gefassten Konzept arbeitet Raspail gewissermaßen mit Netz und doppeltem Boden. Unter dem Motiv seiner vorherigen Biennale "Spektakel des Alltags" standen die Werke größtenteils ohne klare Bezüge nebeneinander. Raspail hat 1991 die Biennale ins Leben gerufen, die heute mit 180 Veranstaltungen an rund 100 verschiedenen Orten in und um Lyon zu einem Mega-Event geworden ist.
Serie von Brutalitäten und Quälereien
Überall Abfallmaterialien und Körperteile: Diego Bianchi stellt aus Müll und Konsumgütern wuchernde Installationen her, in denen viel politischer und sozialer Zündstoff steckt. "Ich verwandle diese zweckentfremdeten und entstellten Objekte in eine Serie von Brutalitäten und Quälereien und versuche so die Augenfälligkeiten der Gegenwart herauszukristallisieren", erklärte er. Bianchi gehört zu den bedeutenden Künstlern Argentiniens, die der Trash-Bewegung angehören, der Müllkunst.
Viele Assoziationsspielräume bietet die Arbeit von Alexander Schellow. Aus unterschiedlicher Distanz hat der in Hannover geborene Künstler flüchtig entgegenkommende Passanten fotografiert und sie mit schwarzer Tinte auf Transparentpapier gezeichnet. Durch diese Technik heben sich die Konturen auf, die Physiognomien wirken verschwommen und die Individuen lösen sich auf. Schellows Zeichnungen, die seit 2001 unter dem Titel "Storyboard" immer zahlreicher werden, lösen verschiedene Assoziationen aus: das Verschwinden des Gedächtnisses - und vielleicht der ganzen Menschheit.
Von Sabine Glaubitz, dpa - Bild: Courtesy of the artist and Sikkema Jenkins & Co., New York, Copyright: Lepkowski Studios GmbH, Berlin