Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) hat den libyschen Rebellen Unwillen bei der Verfolgung mutmaßlicher Kriegsverbrecher in den eigenen Reihen vorgeworfen.
Nach dem Ausbruch des Aufstands gegen den libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi im Februar hätten Oppositionskämpfer tatsächliche oder vermutete Anhänger des Gaddafi-Regimes oder ausländische Söldner entführt, willkürlich festgehalten, gefoltert und gemordet, teilte Amnesty International am Dienstagmorgen in London mit.
Möglicherweise seien auch Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden. "Es sind weder unabhängige oder glaubwürdige Ermittlungen vom Übergangsrat veranlasst worden, noch Maßnahmen, um die Täter zur Verantwortung zu ziehen", heißt es in dem Bericht.
Mit den Missständen der vergangenen Jahrzehnte Schluss machen
Libyer schwarzafrikanischer Herkunft sowie aus den Regionen Tawargha und Sabha oder den Gaddafi-Hochburgen Sirte und Bani Walid seien weiterhin besonders durch Racheakte gefährdet, warnte die Organisation. Nach AI-Schätzung sind die meisten der in Gefangenenlagern in Tripolis und al-Sawija festgehaltenen Ausländer keine Söldner, sondern Wanderarbeiter.
In den Tagen des Aufstands hätten funktionierende Institutionen gefehlt. Das Vakuum hätten die Anti-Gaddafi-Kämpfer ausgefüllt, die ohne Training und Erfahrung sowie ohne Aufsicht oder Verantwortlichkeiten vorgingen. Rebellenführer hätten AI gegenüber die Verbrechen zwar verurteilt, aber auch kleingeredet und angesichts der Verbrechen der Gaddafi-Truppen teils als "verständlich" bezeichnet. Ohne ein funktionierendes Justizsystem und ohne interessierte Zivilgesellschaft oder Medien hätten Opfer keine Chance auf Gehör.
42 Jahre nach dem Ende der brutalen Unterdrückung und nach fast sieben Monaten des Konflikts steht der Übergangsrat nach Worten von AI heute großen Herausforderungen gegenüber. "Die neuen Autoritäten müssen mit den Missständen der vergangenen vier Jahrzehnte vollständig Schluss machen und neue Standards setzen, mit den Menschenrechten im Mittelpunkt", sagte Claudio Cordone von AI.
Die Verantwortlichen für Grausamkeiten unter dem Gaddafi-Regime müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Es müssten aber für Verbrecher auf beiden Seiten die gleichen, internationalen Standards gelten, sonst drohe ein Teufelskreis aus Gewalt und Vergeltung.
dpa/jp/km - Archivbild: Manu Brabo (epa)