Die Zerstörungen sind gewaltig: Als vor sechs Monaten Erdbeben und Jahrhundert-Tsunami den Nordosten Japans heimsuchten, wurden 263 Küstenstädte teilweise dem Erdboden gleichgemacht. Die Aufräumarbeiten gehen noch weiter, der eigentliche Wiederaufbau wird lange dauern. Viele Orte müssen wegen der Tsunami-Gefahr verlegt werden.
Auch wenn sich die direkten Folgen der Natur- und Atomkatastrophe für die Wirtschaft sehr in Grenzen halten - die psychologischen Auswirkungen auf die drittgrößte Wirtschaftsnation der Welt sind schwerwiegend. Die Aussichten auf eine grundlegende Erholung der Wirtschaft sind trübe.
Als der Tsunami am 11. März mit fürchterlicher Gewalt zuschlug wurden im Handumdrehen wichtige Produktionsstätten zerstört, Lieferketten zerrissen. Unternehmen wie Toyota verzeichneten plötzlich enorme Produktionsausfälle und Absatzprobleme. Etliche Fabriken mussten ihre Produktion unterbrechen.
Die japanische Wirtschaft schrumpfte zwischen April und Juni um eine hochgerechnete Jahresrate von 2,1 Prozent - und damit stärker als bislang gedacht, wie die Regierung am Freitag bekanntgab. Zunächst hatten die amtlichen Statistiker ein Minus von 1,3 Prozent errechnet.
Exportindustrie hat Engpässe sehr schnell überwunden
Doch in einem beeindruckenden Kraftakt bekamen Japans Unternehmen die Probleme zügig in den Griff, schneller sogar als erhofft. Von Tag Eins an bemühten sie sich, die Lieferketten wieder zu reparieren. Viele Unternehmen hatten bereits Erfahrungen gesammelt bei einer früheren Erdbebenkatastrophe in Niigata, wo es ähnliche Probleme mit Zulieferern gab. Daraus haben sie gelernt und ihre Zulieferstrukturen diversifiziert.
Hinzu kommt, dass Japans Exportindustrie zum Zeitpunkt des Tsunamis wegen der gerade erst überwundenden Weltfinanzkrise ohnehin nicht ausgelastet war. Auch deswegen sind die direkten Folgen der Katastrophe gering. Zudem handelt es sich um eine sehr strukturschwache Region. Die örtliche Fischerei macht Ökonomen zufolge gerade einmal 0,02 Prozent des Bruttosozialprodukts des Landes aus.
Schlimmer sind die psychologischen Folgen
Unvergleichlich schlimmer sind die psychologischen Folgen: Der Tsunami traf die ostasiatische Wirtschaftsmacht just zu einem Zeitpunkt, als sich die Wirtschaft des Landes gerade von der weltweiten Finanzkrise erholt hatte. Hinzu kommt, dass Japans Wirtschaft seit vielen Jahren vor sich hin dümpelt.
Zudem sind angesichts der rapide alternden Bevölkerung die Wachstumserwartungen deutlich gesunken, Ökonomen beziffern die potenzielle langfristige Wachstumsrate für Japan auf noch gerade einmal magere ein Prozent. Genau in dieser Lage schlägt auch noch der Tsunami zu: Plötzlich wurden die Erwartungen der Menschen in das zukünftige Wachstum und die herbeigesehnte Erholung jäh zunichte gemacht. Und dann gleich der nächste Schock, als es in Fukushima zur Atomkatastrophe kam. "Plötzlich war das gesamte industriepolitische und wirtschaftspolitische Modell in Frage gestellt", erklärt Martin Schulz, Ökonom beim Fujitsu Research Institute in Tokio.
Eines der Fundamente der japanischen Gesellschaft, nämlich das Vertrauen in die Versorgungssicherheit und die Sicherheit des eigenen Marktes ist schwer erschüttert. Mit einem Mal muss Strom gespart werden, unkontrollierte Stromausfälle sind möglich, Unternehmen können nicht mehr so flexibel wie bislang gewohnt produzieren. Als Folge brach der private Konsum massiv ein.
Statt die Wirtschaft mit Einkäufen anzukurbeln - immerhin macht der Konsum rund 60 Prozent der Wirtschaftsleistung dees Landes aus - sparen die Menschen ihr Geld lieber, um sich auf die zunehmende Verunsicherung einzustellen. Hinzu kommt, dass die Erwartungen zügiger massiver Investitionen des Staates in den Wiederaufbau der Katastrophengebiete, bis heute nicht erfüllt sind. Das Vertrauen der Menschen kehrt daher nur sehr langsam zurück. Deswegen, sagen Ökonomen, erhole sich Japans Wirtschaft auch langsamer als erhofft.
dpa/rkr/rs - Archivbild: Asahi Shimbun (epa)