
"Suizid ist kein Tabuthema mehr, doch es fehlt an konkreten Maßnahmen und sensiblen Ärzten", sagt Georg Fiedler vom Nationalen Suizidpräventionsprogramm in Hamburg in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.
"Viele Menschen sind sehr unsicher, wie sie reagieren sollen, wenn jemand über Suizid nachdenkt oder sich verdächtig äußert", sagte der Psychologe.
Er empfiehlt daher auch Angehörigen oder Freunden den Besuch einer Beratungsstelle, etwa eines sozialpsychiatrischen Dienstes. Rund um die Uhr ist außerdem die Telefonseelsorge erreichbar.
Häufig leiden die Gefährdeten unter einer psychischen Krankheit. "Das allein ist jedoch nicht der Grund", so Fiedler. Es kämen viele Faktoren zusammen: Erinnerungen an früh erlebte Ablehnung oder Trennungen könnten im späteren Leben wieder aufkommen und ein Auslöser sein, dem Leben selbst ein Ende zu setzen.
"Menschen reagieren sehr unterschiedlich. Was für den einen eine Lappalie, ist für den anderen eine dauerhaft schmerzliche Erinnerung." Auch Arbeitslosigkeit oder große Umbrüche - etwa der Niedergang der DDR - können bei seelisch Angeschlagenen Suizidgedanken fördern.
Viele Menschen gestehen sich ihre psychische Krankheit nicht ein oder sprechen nicht darüber, sagte Fiedler. "Die Haltung "Ich bin doch nicht verrückt" ist noch immer weit verbreitet." Dennoch scheinen Gefährdete instinktiv nach Hilfe zu suchen. "Dreiviertel aller, die einen Suizidversuch unternommen haben, haben in den vier Wochen zuvor einen Arzt aufgesucht." Viele Ärzte würden die Patienten aber falsch einschätzen und die Gefahr nicht rechtzeitig erkennen. "Die Ärzte müssen eine viel höhere Sensibilität entwickeln."
Trotz allem gibt es dem Psychologen zufolge Hinweise auf eine schrittweise Besserung. Langfristig gehen Suizide zurück, wie die Statistiken zeigen. Verantwortlich für den Rückgang sind laut Fiedler vor allem Fortschritte in der Medizin: "Es gibt immer bessere Medikamente und der Ruf der Kliniken als "Irrenanstalten" geht zurück. Die psychiatrische Versorgung rückt so näher an die Menschen heran."
Aktuelle Zahlen aus Flandern
Im Jahr 2009 hat es in Flandern 1.100 Selbstmorde gegeben. Es handelt sich um rund 800 Männer und 300 Frauen. Die Ursachen sind nach Überzeugung des flämischen Gesundheitsministers Van Deurzen auch in der Finanzkrise zu suchen.
Die Suizidrate in Flandern ist seit Jahren eine der höchsten in Europa. Mit einem Aktionsplan will die Gemeinschaftsregierung jetzt die Hilfsangebote für verzweifelte Menschen besser bekannt machen.
Aktuelle Zahlen aus der Provinz Lüttich
Nach Polizeiangaben haben 2009 in der Provinz Lüttich 937 Menschen den Freitod gewählt. Das seien 27 Prozent mehr als vier Jahre zuvor, erklärte die Provinzdeputierte Katty Firquet am Freitag im Vorfeld des Internationalen Tages zur Suizidvorbeugung.
Die Provinz Lüttich zählt etwas mehr als eine Million Menschen. Die Suizidrate betrug demzufolge 2009 knapp einer auf 1.000.
Katty Firquet will ein bereits bestehendes Netzwerk von Menschen verstärken, die glauben, im Kontakt mit suizidgefährdeten Menschen zu sein. Sie erklärte auch, die Provinz stelle ihr Wissen auf diesem Gebiet Firmen zur Verfügung, die dies wünschen.
dpa/mitt/fs - Bild: istock