Eine der letzten Hochburgen von Libyens Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi steht vor dem Fall. Die Rebellen hätten mit dem Countdown zum Sturm der 80.000 Einwohner zählenden Wüstenstadt Bani Walid begonnen, berichtete der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira am Montag unter Berufung auf Kommandeure der Aufständischen. Die Rebellen hätten bereits sieben Kilometer vom Stadtzentrum entfernt Stellung bezogen.
Eine friedliche Verhandlungslösung bleibt nach Informationen des Senders allerdings weiterhin die erste Option. Stammesälteste und Rebellen führten weiterhin Gespräche über eine Kapitulation der Stadt, obwohl die offiziellen Verhandlungen in der Nacht zum Montag abgebrochen worden waren. Der Grund: Ein Bruderkrieg solle vermieden werden, denn Kämpfer beider Seiten gehörten zum größten Stamm in Libyen, den Warfalla.
Bani Walid liegt rund 150 Kilometer südlich der Hauptstadt Tripolis. Die Wüstenstadt zählt außer Sirte, der Geburtsstadt Gaddafis, und der Garnisonsstadt Sebha zu den letzten großen Hochburgen des untergetauchten Ex-Diktators. Der Übergangsrat verspricht sich, dass nach dem Fall von Bani Walid die anderen Gaddafi-Bastionen ohne Blutvergießen kapitulieren.
Gaddafi-Getreue in Bani Walid verschanzt
In Bani Walid sollen sich nach Informationen des britischen Senders BBC Gaddafi-Getreue verschanzt haben. Diese sollen für Gräueltaten vor und während der Einnahme von Tripolis vor zwei Wochen verantwortlich sein. Diese Männer seien verzweifelt und hätten nichts mehr zu verlieren. Die Gaddafi-Kämpfer hätten Scharfschützen auf Häusern postiert. Unklar sei, ob sie die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde missbrauchen. Der Übergangsrat in Libyen hat die Bewohner von Bani Walid inzwischen aufgefordert, zu Hause zu bleiben und nicht auf die Straßen zu gehen.
Die Rebellen schließen nicht aus, dass sowohl Gaddafi als auch dessen Söhne unter dem Schutz der Stammesältesten in Bani Walid Zuflucht gefunden haben. Nach anderen Berichten soll Gaddafis Sohn Saif al-Islam die Stadt bereits am Freitag verlassen haben. Auch zwei Wochen nach dem Fall von Tripolis bleibt unklar, wo der 69 Jahre alte Despot untergetaucht ist.
Der Übergangsrat versucht weiter, die schwierige humanitäre Lage in der Hauptstadt Tripolis in den Griff zu bekommen. In weiten Teilen der Stadt sei die Wasserversorgung weiterhin unterbrochen, berichteten Augenzeugen.
Erneut Nato-Angriffe auf Gaddafi-HochburgenNato-Kampfflugzeuge griffen am Sonntag erneut Ziele in den verbleibenden Gaddafi-Hochburgen an. In Bali Walid trafen die Bomben des nordatlantischen Bündnisses unter anderen ein Munitionsdepot. Weitere Militärziele wurden in Sirte und Buairat al-Hasun bombardiert.
Dokumente in Geheimdienst-Zentralen Gaddafis entdeckt
In den vom Gaddafi-Regime hinterlassenen Geheimdienst-Zentralen tauchten Dokumente auf, die die enge Zusammenarbeit westlicher Nachrichtendienste mit den entsprechenden libyschen Behörden belegen sollen. Die Gaddafi-Geheimdienste waren für Missachtung der Menschenrechte und Folterpraktiken bekannt. Die Echtheit der Dokumente konnte zunächst nicht überprüft werden, sie wird jedoch als wahrscheinlich angenommen.
So habe die CIA unter anderem achtmal Terrorverdächtige gegen ihren Willen zur Befragung nach Libyen geschickt, meldete die "New York Times" am Samstag. Auch der britische Geheimdienst MI-6 habe kooperiert und sogar für das libysche Regime Telefonnummern überprüft.
Die Angaben stützten sich auf Dokumente, die Rechercheure der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in der Zentrale des Auslandsgeheimdienstes in Tripolis gefunden hatten. Sie stammten aus der Zeit 2002 bis 2006, als der spätere Außenminister Mussa Kussa diesen Dienst geleitet hatte. Kussa hatte sich nach Ausbruch der Revolte gegen Gaddafi im Februar nach Großbritannien abgesetzt.
Den gefundenen Dokumenten zufolge hätten viele westliche Agenten ein "kumpelhaftes Verhältnis" zu ihren libyschen Kollegen entwickelt, sagte der Nahost-Direktor von HRW, Peter Bouckaert, am Samstag der BBC. Er zitierte aus dem Fax eines westlichen Geheimdienstes an Kussa, in dem stand: "Lieber Mussa, danke für die Orangen, die Sie uns zuletzt sandten, sie waren ausgezeichnet."
Weder die CIA noch das britische Außenministerium wollten sich direkt dazu äußern. Eine CIA-Sprecherin meinte lediglich, es könne "nicht überraschen", dass ihre Agentur mit ausländischen Regierungen zusammenarbeitet, um "unser Land vor Terrorismus und anderen tödlichen Bedrohungen zu schützen".
Deutschland habe von Libyen Informationen im Zusammenhang mit der Terrorismus-Bekämpfung erhalten, nicht aber in der Art der anderen Geheimdienste kooperiert, erklärte der ehemalige deutsche Geheimdienst-Koordinator Bernd Schmidbauer in der "Bild am Sonntag". "Diese Linie haben wir nie überschritten", betonte der von 1991 bis 1998 amtierende Staatsminister der Regierung Kohl.
HRW-Direktor Bouckaert sagte der Presseagentur dpa in Tripolis, dass auch Dokumente von deutschen Geheimdiensten gefunden wurden. Über ihren Inhalt vermochte er jedoch keine Angaben zu machen, weil sie die HRW-Rechercheure nicht fotografiert hatten. Einem dpa-Team, das sich am Sonntag in der Zentrale des Auslandsgeheimdienstes umsehen wollte, verwehrten Milizionäre der neuen Führung den Zutritt.
dpa/jp/sh - Bild: Ciro Fusco (epa)