Mögliche Wende im Bürgerkrieg in Libyen: Nach nächtlichen Kämpfen zwischen Aufständischen und Regierungstruppen in Tripolis soll der bedrängte Machthaber Muammar al-Gaddafi die Hauptstadt in Richtung algerische Grenze verlassen haben.
Aus gut informierten Kreisen in Tripolis verlautete am Sonntag, er halte sich mit seiner Familie in einer Region unweit der Grenze auf. Im Stadtzentrum, das noch von Gaddafis Anhängern kontrolliert wird, herrschte am Sonntagvormittag wieder Ruhe.
Eine Bestätigung für die Nachricht von der Flucht Gaddafis aus Tripolis gab es zunächst aber nicht - weder von den Rebellen noch von algerischer Seite. Ein Beamter des Außenministeriums in Algier sagte auf Anfrage, Gaddafi halte sich derzeit nicht in Algerien auf.
In der Nacht hatte es in Tripolis Kämpfe zwischen Gaddafis Truppen und Aufständischen gegeben. Nach Angaben von Augenzeugen werden die Viertel Tadschura und Suk al-Dschumaa inzwischen von den Rebellen beherrscht. Die Kämpfer hätten auch die Kontrolle über den Internationalen Flughafen von Tripolis übernommen, berichtete ein Rebellensender. Anwohner hörten bis zum Morgengrauen Schüsse und Luftangriffe der Nato.
Der arabische Fernsehsender Al Arabija berichtete, die Aufständischen hätten Dutzende Soldaten Gaddafis gefangen genommen. Doch auch die Aufständischen erlitten hohe Verluste. Allein bei den Gefechten im Stadtviertel Tadschura kamen nach Angaben eines Rebellenführers laut Al-Dschasira mindestens 123 Aufständische ums Leben.
Nato: 22 Ziele in Tripolis bombardiert
Der Vorsitzende des Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, sagte Al-Dschasira, dass alle Aktionen vorbereitet und koordiniert seien. Die Nato hatte ihre Kampfeinsätze am Samstag stark auf Libyens Hauptstadt konzentriert. Die Kampfjets der internationalen Truppen hätten allein in Tripolis 22 Ziele angegriffen, berichtete die Nato am Sonntag in Brüssel.
Attackiert wurden demnach Militäreinrichtungen, Lagerhallen, gepanzerte Fahrzeuge, Raketen und Raketenwerfer sowie Radarsysteme. Insgesamt habe die Nato am Samstag 36 Kampfeinsätze über Libyen geflogen. Neben Tripolis griff das Bündnis auch Ziele in Sirte, Al-Brega und Slitan an.
Aus der Industriezone der monatelang umkämpften und zuletzt von den Rebellen eingenommenen Öl- und Hafenstadt Al-Brega mussten sich die Aufständischen nach eigenen Angaben wegen starken Beschusses durch die Gaddafi-Truppen am Samstag wieder zurückziehen.
Der Übergangsrat der Rebellen hatte in den vergangenen Monaten mehrfach erklärt, für die Eroberung von Tripolis setzte man auf den "Kollaps des Regimes" und die Unterstützung durch "geheime Zellen" von Sympathisanten in Tripolis. In den vergangenen Tagen hatten die Rebellen auf ihrem Vormarsch nach Tripolis große Geländegewinne erzielt.
Nach mehreren westlichen Ländern erkennt nun auch Tunesien den Übergangsrat der Rebellen als legitime Vertretung des libyschen Volkes an. Das an Libyen grenzende Tunesien war in der Vergangenheit immer wieder unter den Einfluss des Konfliktes geraten. Erst in der Nacht zu Samstag war es in einer Grenzregion zu Gefechten zwischen tunesischen Soldaten und unbekannten Bewaffneten gekommen.
dpa/cd/fs/km - Bild: epa/str