Nichts fürchten und hassen die Börsen mehr als Unsicherheit. Die meisten Akteure auf dem Finanzmarkt sind schließlich keine Zocker und Spekulanten. Sie wollen vor allem kein Geld verlieren und eine dem Risiko angemessene Rendite erwirtschaften.
Doch das wird zunehmend zum Problem. Denn das Gütesiegel „sicher“ tragen immer weniger Anlagemöglichkeiten - zurzeit noch Gold, der Schweizer Franken und deutsche Bundesanleihen.
Das Verlangen nach Sicherheit ist so groß, dass Anleger Geld in Bundesanleihen stecken, bei denen die Inflation mehr Kaufkraft auffrisst als die Zinsen einbringen. Wirtschaftlich betrachtet, völlig unvernünftig. Doch ein sicherer kleiner Verlust scheint den Anlegern lieber als die Ungewissheit über die künftige Entwicklung ihres Investments.
Bereit, willig und in der Lage
Tatsächlich, die Unsicherheiten steigen. In der Finanzkrise anno 2008 galten die Staaten als sicherer Hafen. Sie waren sozusagen bereit, willig und - das ist am wichtigsten - in der Lage, das Finanzloch nach der Implosion der Finanzmärkte aufzufüllen. Heute sieht das anders aus. Die Retter von damals stehen zunehmend finanziell mit dem Rücken zur Wand. Die Krise 2008 hat das Schuldenfass bis an den Rand gefüllt, jetzt läuft es über.
So weit so schlimm. Vertrauten die Anleger bisher auf die brummende Konjunktur, so fällt ihnen nun auf, dass die Politik im Abschwung bestenfalls noch willig ist, der Wirtschaft zu helfen. Nur bereit und in der Lage sind die Staaten dazu nicht mehr. Halbherzig, wenig entschlossen und zerstritten haben die EU-Regierungschefs Rettungspakete für kriselnde Eurostaaten präsentiert.
Dabei sind die Ad-hoc-Lösungen bestenfalls Flickschusterei und kein nachhaltiges Konzept. Wer griechische, italienische und belgische Staatsanleihen abstößt, sagt vor allem eins: Ich habe kein Vertrauen mehr in die Politik dieser Länder. Es ist keine böse Absicht, es ist Resignation bei den Anlegern.
Alle für einen ...
Wenn man die EU als Gemeinschaft ernst nehmen soll, ist es spätestens jetzt an der Zeit zu zeigen, dass wenigstens Europa selbst noch an sich und seine Mitglieder glaubt. Finanztechnisch bedeutet das: Eurobonds heraus geben, nach dem Motto "Alle für einen und einer für alle".
Solange die Wirtschaft in Deutschland brummt, mag Frau Merkel das nicht hören. Aber wenn die Peripherie einbricht, geht’s in ein paar Monaten auch mit der deutschen Wirtschaft abwärts. Denn seit dieser Woche wird an den Aktienmärkten klar, dass die Welt-Konjunktur nicht in den Himmel wächst. Die Wirkung der Kapitalspritzen und Konjunkturprogramme läuft aus.
Noch dramatischer: Staatliche Sparprogramme haben dem Wirtschaftswachstum bisher immer einen Dämpfer verpasst, auch in den USA. Dort eifert die Politik inzwischen den Europäern nach und zeigt mit dem Murks um die Erhöhung der staatlichen Schuldenobergrenze, dass sie sich schamlos selbst blockieren kann und zu großen Schritten nicht in der Lage ist. Mehr Unsicherheit geht schon fast nicht mehr.
Deflation
Die einzigen, die noch bleiben, sind die Zentralbanken. Sie werden in den nächsten Monaten in Washington und Frankfurt nicht anders können als Staatsanleihen zu kaufen, unbegrenzt Liquidität zur Verfügung zu stellen und unausgesprochen zu hoffen, dass sich die Misere doch noch irgendwie weg inflationieren lässt.
Seit dieser Woche ist aber das viel schlimmere Gegenteil wahrscheinlicher geworden. Deflation: erlahmende Wirtschaftstätigkeit, pleite gehende Betriebe und Massenarbeitslosigkeit in einer sich selbst verstärkenden Abwärtsspirale. Das Geld, um das zu verhindern, ist da. Die, die es haben, wünschen sich für ihre Anlage nur ein kleines bisschen mehr Sicherheit. Jetzt muss die Politik beweisen, dass sie die noch bieten kann. Kann sie es?
Bild: Andrew Gombert (epa)