Am Montag, am Tag der Vorführung vor dem Haftrichter, war das ein richtig mieses Gefühl, nicht gleich nach den 19-Uhr-Nachrichten, erst später, als ich das dreckige Grinsen des Massenmörders gesehen habe. Kurz im Fernsehen, beim Vorbeifahren des schwarzen Geländewagens, des Fahrzeugs, das Jugendliche versucht hatten, anzugreifen. Vielleicht grinste er ja auch deshalb so dreckig-selbstgefällig.
Und geärgert habe ich mich, über mich selbst: Hatte ich doch den ganzen Nachmittag über hervorgehoben, und sicherlich um 18:00 Uhr, mit einer innerlichen Genugtuung, dass das Gericht in Oslo dem Mann nicht die von ihm gewünschte Plattform bieten wollte.
Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit, und ohne die Operettenuniform, die anzulegen der Mörder sich gewünscht hatte. Und dann aber, kurz vor 19:00 Uhr, sendet die Deutsche Presseagentur eine längere Meldung über die Pressekonferenz des Staatsanwalts. Erst am Mikrophon wird mir schlagartig klar, dass ich es bin, der dem Attentäter ein Forum gibt.
Am folgenden Tag sage ich mir wieder, wieso reden wir eigentlich von ihm und seinem "Manifest", dieser Collage nach dem Copy and Paste-Prinzip. Sehen Sie es vor sich, das selbstgefällige, nur angedeutete Grinsen, das während der ganzen Woche auf zigtausenden Titelseiten prangte? Das Grinsen wohl beim Gedanken, dass die Menschen IHN verurteilen und verabscheuen - ein schöner Gedanke für einen Narziss - nicht aber seine Ziele. Und ihm damit seine Uniform anziehen, mit den Insignien von Freimaurertum, Christentum ohne Gott und Templerrittertum nach Indiana Jones, goldene Epauletten nicht zu vergessen. Für das Foto sollte man sich schminken, hat er gebloggt. Bei solchen Gedanken: Stellen Sie sich vor, es wären ihre Kinder, Nichten oder Neffen.
Wurden sie Opfer des Internets und der Online-Kriegsspiele, mit denen sich der Mörder abgehärtet hat? Sicherlich. Gut, dass ich etwas später im Radio höre, wie oft millionenmal auf den Blog von Ay Waiwai geklickt wird: Das Netz sei die einzige Chance, sagt der chinesische Bürgerrechtler. Natürlich ist mir klar, welch wichtige Rolle das Netz für den arabischen Frühling gespielt hat, - wenngleich andere Umstände, ohne die die Jasminrevoltion nicht möglich gewesen wäre, unterbeleuchtet bleiben.
Journalistischer Neugierde entspringt die Frage: Wie reagieren die Kopierten beim Copy and Paste? Aus belgischer Sicht fand nur eine Partei Gnade in den Augen des Mörders, der Belang, Ex-Vlaams-Blok. Der Vorsitzende Valkeniers wischt es mit einer Handbewegung vom Tisch: Das sei nun mal der Nachteil moderner Medien, lässt er verlauten, und: Hätten wir mehr Zugang zu den Medien, brauchten wir nicht so laut zu schreien. Er unterschlägt dabei, dass der frühere VRT-Fernsehmacher Siegfried Bracke den Vertretern seiner Partei regelmäßig die Studiotüren öffnete. Heute ist Bracke die rechte Hand von De Wever, der sich selbst Nationalist nennt. Dieser hat wieder mal Glück: Seine Partei fungiert im "Manifest" auf der Liste der Gegner und somit auszuschalten. Aber De Wever sieht ja auch die Gefahr für Flanderns Wohlstand nicht aus dem Ausland kommen. Wie sagte seine jüngste Aquisition Vic Van Aelst: Lieber gebe er das Geld den Türken.
Flämische Zeitungen haben in dieser Woche damit überrascht, dass sich das "Manifest" auch auf das "Brussels Journal" bezieht. Herausgegeben wird die Internet-Zeitung vom Ehemann einer Abgeordneten des Belang. Wobei interessant war, zu beobachten, mit welchem Grad von Häme oder Schadenfreude dies angemerkt wird. Es wurde kaum angemerkt, es scheint offensichtlich, die Innenpolitik braucht Ruhe - nur die Korridor-Idee des Olivier Maingain störte die Ruhe, aber auch nur kaum, handelt es sich dabei doch um eine Idee, die aufgewärmt ist.
Mir fällt auf, dass das Thema Einwanderungspolitik in Presse und Politik nicht hochkocht, aber die gehören ja auch nicht zum Zielpublikum, das der Mörder - da grinst er wieder - anvisiert, seit er sich der Polizei ergeben hatte, mit der er wohl am liebsten im Geiste paradieren würde. Die Kraft des Bildes.
Zuletzt fällt mein Blick auf ein Interview in "De Morgen", geführt mit einem erfahrenen Gerichtspsychiater, der nicht an eine Geisteskrankheit glaubt, dafür sei das Gedankengut zu verbreitet und das Vorgehen zu methodisch. Das seien Taten, die auch nicht kranke
Menschen begehen können. Sie als krank zu bezeichnen mache es der Gesellschaft einfacher, Distanz zu schaffen und sei eine Form von Selbstschutz. Das sage mehr aus über die Gesellschaft als über den Täter.
Bild: Jörg Carstensen (epa)
Wow.. danke für den Kommentar. Mit das beste, was ich zu dem Thema gelesen/gehört habe. Es spricht mir aus der Seele..
Wie gewöhnlich ein toller und sehr persönnlicher Kommentar von Frederik Schunck.
Zum letzten Satz seines Kommentar : DAS SAGE MEHR AUS ÜBER DIE GESELLSCHAFT ALS ÜBER DEN TÄTER.
Ich möchte diese Sichtweise wie folgt auslegen:
Führte der Täter aus Norwegen nicht aus was wir sooft hören,denken,sagen - " raus mit den Ausländer " - " sollen bleiben wo sie herkommen " - " sollen arbeiten und nicht auf unsere Kosten leben " - " fressen unseren Wohlstand auf " - " Adolf würde anders mit dem Problem umgehen " usw...
Mit solchen Parolen wird auch Wahlkampf gemacht - siehe Holland - Frankreich usw...
Auf diesem Gedankengut oder Nährboden gedeihen solche Auswüchse wie in Norwegen und wir wundern uns dann das plötzlich jemanden die Siecherung durchgeht und zu solcher Tat fähig wird.
Sehr geehrter Herr Schunk,
ich lese momentan besagtes Manifest, um die Tatgründe des Täters genauer eingrenzen zu können. Ich habe mittlerweile zirka 2/3 des Textes durch, und muss sagen, dass der Text zeitweise sehr schwer zu verdauen ist. Dennoch denke ich, dass es wichtig ist, sich mit diesem menschenverachtendem Manifest auseinanderzusetzen. Schließlich muss man den Feind kennen, um ihn bekämpfen zu können. Entschuldigen Sie diese etwas martialische Ausdrucksweise.
Da Sie den Text anscheinend auch lesen/gelesen haben, habe ich eine Frage an Sie:
Sie schreiben von "Copy + Paste" - welche Passagen sind kopiert und vor allem, woher stammen die "Original-Passagen"?
Ich bin bisher nicht wirklich fûndig geworden, wenn gleich ich gewisse Parallelen zu amerikanischen, rechtextremen Vereinigungen finde.
In der Hoffnung auf Antwort,
mfg,
Richard Winters
Herr Winters, wenn ich mich richtig erinnere, wurde das mit den kopierten Passagen in Stern oder Spiegel online berichtet, es müsste allerdings auch zu 'ergooglen' sein. Ein Teil davon stammt auch von einem Belgier.
Aus Spiegel Online : ...Zumal Anders Behring Breivik durchaus nicht der alleinige Autor dieses Konvolutes ist, das unter dem Titel " 2083 - A European Declaration of Indepence " nun im Sinne des Wortes zum Kreuzzug gegen den Islam in Europa aufruft. Hunderte von Seiten wurden von anderen rechten Bloggern verfasst, Breivik hat sie aus ihren Blogs kopiert. Dutzende Kapitel seiner Kampfschrift erschienen in den letzten Jahren in Blogs wie Gates of Vienna (GoV - "Tore von Wien") oder The Brussels Journal, die zu seinen meistzitierten Quellen zählen. Breivik selbst bezeichnete die Ideologie, der er folge, als die "Vienna-Denkschule" - eine direkte Referenz an das GoV-Blog. ... http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,776275,00.html
Vielen Dank, Herr Bosch.
Von Brussels Journal hatte ich bereits gelesen. Die zweite Quelle kannte ich noch nicht.
mfg,
Richard Winters
Le manifeste de Breivik au détecteur de plagiat
LeSoir samedi 30 juillet 2011, 12:10
http://www.lesoir.be/dossiers_speciaux/special8/2011-07-30/le-manifeste-de-breivik-au-detecteur-de-plagiat-853948.php