Die Krise als das Problem einiger weniger schlechter Schüler zu betrachten, wäre aber ein Fehler - auch Belgien weist griechische Züge auf.
Griechenland ist mehr, als nur ein einmaliger Betriebsunfall. Griechenland ist ein Fanal, und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht: in der Ursache und auch in der Wirkung. Statt denn auch mit dem Finger auf die angeblich faulen und schlitzohrigen Griechen zu zeigen und zu lamentieren, sollte man schnellstens die Lehren aus dem Debakel ziehen. Und das gilt nicht nur für die EU und ihre Funktionsweise, sondern auch für Belgien.
Zunächst einmal sollte man sich die richtigen Fragen stellen. Genau das hat man in Griechenland nämlich offensichtlich versäumt. Missstände, die schon profanen Griechenland-Reisenden ins Auge sprangen, können doch nicht in Athen im Zentrum der Macht unbemerkt geblieben sein. Etwa die unübersehbare Tatsache, dass in dem Land kaum jemand Steuern zahlte. Oder, - ebenso offensichtlich - dass der Staatsapparat gnadenlos aufgebläht war.
Das soll keine Anklage sein, sondern eine Illustration. Eine Illustration dessen, was passiert, wenn man den Realitäten nicht ins Auge sieht, sei es aus Bequemlichkeit, sei es aus dem kurzfristigen, weil dem Vierjahresrhythmus unterliegenden Politikerdenken heraus, dem Wähler nicht vermeintlich Unzumutbares zuzumuten, wenn's nicht unbedingt sein muss.
Um die offensichtliche Diskrepanz zwischen Realität und Wirklichkeit zu erklären, wird dann - und das dürfte auch dem gemeinen Belgier bekannt vorkommen - mitunter aus der Not sogar noch eine Tugend gemacht, nach dem Motto: "Ach, bei uns klappt das nun mal, hier gehen die Uhren eben anders".
Und so wird die Seifenblase größer und größer. Bis sie unweigerlich platzt. Und was passiert, wenn man Menschen abrupt aus einer Traumwelt heraus in die Realität katapultiert, auch dafür ist Griechenland ein ebenso trauriges wie beeindruckendes Beispiel: salopp gesagt: "Dann knallt es!". Und dann wird es irgendwann - aus menschlich absolut nachvollziehbaren Gründen - fast unmöglich, das Steuer noch herumzureißen, weil man tatsächlich nicht allen Ernstes einer Generation jetzt die Rechnung für die Fehler der letzten Jahrzehnte unter die Nase reiben kann. Kleine Klammer: Genau deswegen kommt sogar dem Außenstehenden angesichts der Griechenland-Krise auch das kalte Schaudern, weil man sich wirklich fragt, wie das noch enden soll...
Klar: Belgien ist nicht Griechenland. Klar: Belgien steht auf noch nicht annähernd so tönernen Füßen, wie das vielleicht für Griechenland der Fall war. Und doch gibt es beängstigende Parallelen, die sich nicht allein auf den hohen Verschuldungsgrad beschränken.
Vielmehr verbindet Brüssel mit Athen die gleiche Vogelstraußpolitik - und das unabhängig von der Tatsache, ob Belgien nun eine Regierung hat, oder nicht. Es geht um die innere Bereitschaft. Denn, wenn auch die belgischen Finanz- und Wirtschaftsdaten kurzfristig äußerst günstig sind - auch hierzulande gibt es Probleme, die längst bekannt und mitunter genauso himmelschreiend sind. Und die in letzter Konsequenz ähnlich dramatische Auswirkungen haben können. Allein sie zu benennen, ist aber schon kaum möglich, ohne in die eine oder andere Ecke geschoben zu werden.
Beispiel: Ob es nun die EU-Kommission, die OECD oder die Nationalbank ist, wer das Wort Index auch nur in den Mund nimmt, der liefert schon den Beweis für seine wirtschaftsliberal-konservative Einstellung. Wer das Thema Rentenalter auch nur ankartet, der will sich gleich an einer heiligen Gewerkschaftskuh vergreifen.
Nur, weil man Probleme von vornherein für tabu erklärt, verschwinden sie dafür aber nicht. Noch in dieser Woche hat Nationalbankchef Luc Coene vor perversen Nebeneffekten der derzeit praktizierten Form der Lohn-Index-Bindung gewarnt. Das Ganze an der Person Coene festzumachen - der Mann war einst Kabinettschef des liberalen Premiers Verhofstadt - wäre unlaut. Auch Vorgänger Guy Quaden - seines Zeichens roter Couleur - hatte schon den Finger in die Wunde gelegt. Das heißt ja nicht, dass man den Index gleich grundsätzlich infrage stellen, gar abschaffen will. Aber es wird doch noch erlaubt sein, einmal gewisse Probleme anzusprechen.
Gleiches gilt für das Thema Rentenalter
Man kann doch nicht allen Ernstes davon ausgehen, dass Deutschland die Rente ab 67 einführt, vielleicht sogar ab 69, allein nur, um seine Bürger zu piesacken. Kein Politiker würde so etwas freiwillig tun. In Belgien ist das gesetzliche Rentenalter von 65 schon reine Theorie. Nur einer von drei Menschen zwischen 55 und 64 steht im Durchschnitt noch im Arbeitsleben. Wenn auch jedem der verdiente Ruhestand gegönnt sei: So kann es doch nicht weitergehen!
Hier geht es nicht um ein Werturteil: Ob man eine Debatte über die so genannten Sozialen Errungenschaften nun für richtig oder grundsätzlich überhaupt für denkbar hält, ob ein Überdenken einiger dieser Grundpfeiler der Sozialen Sicherheit nun human, sozialverträglich, mit unserem zivilisatorischen Stand zu vereinbaren ist, oder nicht, das ist nicht die Frage. Allein: Wenn schon Europa keine Insel ist, Belgien ist es bestimmt nicht. Dies ist kein Plädoyer für schmerzhafte Einschnitte, es ist ein Appell für Generationsgerechtigkeit. Sehenden Auges ungebremst in den RentenGAU zu rasen, ist den heute unter-40-Jährigen gegenüber schlichtweg unfair.
Allein wären auch die Mitte-Recht und Rechtsparteien gut beraten, die jüngsten Empfehlungen von EU und Nationalbank eben in Sachen Index oder Rentenalter nicht als Freibrief zu betrachten, jetzt im linken Spektrum zügellos herumwildern zu dürfen. Es ist nämlich so, dass auch die rechte Seite eine Reihe von Heiligen Kühen im Stall hat, die man prinzipiell zur Schlachtung freigeben muss. Eine Steuer auf Finanztransaktionen oder die Frage, ob Großunternehmen wie Belgacom oder Electrabel nicht mehr Steuern zahlen könnten, können ebenso wenig tabu sein. Auch hier geht es letztlich um Gerechtigkeit: Jeder - rechts wie links - muss Federn lassen. Denn - wenn's schief geht - dann gehen wir alle auch gemeinsam unter.
Griechenland zeigt, wie schmal der Grat sein kann zwischen einem Leben im Wohlstand und dem sozialen Abstieg einer ganzen Nation, wie gefährlich es sein kann, in kollektivem Selbstbetrug zu leben und das Kind nicht beim Namen zu nennen. Was Generationsegoismus auf Dauer bewirken kann, wenn eine Altersgruppe den Eindruck bekommen muss, sie müsse für die ihre Altvorderen und ihren Hang, Probleme auf später abzuwälzen, die Zeche zahlen. Um es einmal krass zu formulieren: Griechenland zeigt, es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder jetzt richtige Reformen oder auf Dauer eine richtige Revolte.
Guter Artikel, Herr Pint.
Aber wenn wir über das Rentenalter reden, und darüber, dass nur ein Drittel wirklich bis 65 Jahre arbeitet, dann muss man auch über die Verschleiss am Körper reden.
Es wird Ihnen doch wohl einleuchten, dass ein Bauarbeiter viel schneller Rückenprobleme hat als ein Minister. Und ein Bauarbeiter der nichtmehr heben kann ist reif für die Rente! Wenn er eben schon mit 55 nicht mehr kann, dann ist das eben so, und dann sollte man ihm seine Rente dennoch gönnen!
Dann taucht natürlich auch die Frage auf: Wie hoch sollte der Lohn sein? Woran soll das bemessen werden? Desdo weniger man verdient desdo weniger Rente gibts auch am Ende! Also ein Bauarbeiter, der schon früher in Rente geht und auch noch einen niedrigeren Lohn hat wird gleich doppelt bestraft!
Und dann natürlich die Gretchenfrage: Warum müssen denn die Franzosen nur bis 62 arbeiten, UND DAS AUCH ERST SEIT KURZEM!? Also wenn wir länger arbeiten sollen das auch die anderen EU Bürger!
Deutschland ist EU-Geberland. Und was haben die Bürger davon? Sie müssen länger arbeiten, weil das erwirtschaftete Geld teilweise an die EU geht statt im eigenen Land in die Sozialkassen zu fliessen, denn wer mehr arbeitet verschleisst auch schneller!
Die EU ist für mich das Problem! Natürlich nicht ausschliesslich, aber die EU ist einfach noch nicht ausgereift. Und für diese Unfähigkeit der hoch bezahlten EU Beamten gehe ich nicht länger arbeiten!
Es ist genug Geld da, es wird nur falsch verteilt, ob das jetzt in der DG, in Belgien oder in der EU-Finanz ist. Und unsere Herren Politiker sind diejenigen die das Geld am falschen Platz heraus verschwenden!
Das Rentenalter ist kein gutes Beispiel, Herr Gennen.
Das ist von zuvielen Faktoren abhängig, als es in einer sochen Diskussion zu verwenden. Da spielen das Rentensystem eine Rolle als auch Anzahl Beitragszahler, usw. Und wenn ein Land genügend Kinder (=Beitragszahler) hat, dann kann es auch ein früheres Renteneintrittalter haben als ein Land mit schrumpfender Bevölkerung.
Ihr Beispiel mit dem Bauarbeiter hinkt aber auch gewaltig - wenn man mit 55 nicht mehr heben kann darf das nicht heißen, das man ab dann Rente bekommt - sondern das man sich einen Job sucht bei dem man nicht mehr heben muss. Ob das realistisch ist oder nicht lasse ich mal dahin gestellt, das hängt vom Einzelfall ab. Aber prinzipiell ist Berufsunfähigkeit nicht gleich Erwerbsunfähigkeit.
Nun ja, lieber Herr Pint, diesmal kann ich an Ihrem Artikel keinen Gefallen finden.
Die Produktivität Belgiens liegt heute 100 mal höher als noch vor 100 Jahren. In 100 Jahren wird es wieder so sein. Dann werden wir also innerhalb einer halben Woche all das produzieren, wofür wir heute ein ganzes Jahr brauchen. Wer soll da noch bis 67 arbeiten müssen? Es sei denn, wir machen weiter wie bisher: 40% der Wirtschaftleistung dienen den Kapitalerträgen einer nicht arbeitenden Elite und wir selbst müllen uns mit Zeug zu, das wir nicht brauchen.
Die Zukunft heißt: Entschleunigung. Wir können heute schon bei zwei Wochenarbeitstagen gut leben, wenn wir uns auf das Nötige beschränken würden und wenn nicht 40% unserer Leistung den sogenannten Kapitalgebern (die ihr Geld mithilfe der Geschäftsbanken aus dem Nichts schöpfen) in den Rachen schmeißen würden.
"Jeder – rechts wie links – muss Federn lassen" Ach ja? Im Moment läßt nur Links Federn, denn Zinsen müssen bedient werden, bevor alles andere bezahlt werden kann. Rechts ist also immer der Gewinner.
Lieber Herr Pint, ich glaube Sie hatten einen schlechten Tag und so freue ich mich denn auch auf bessere Kommentare.
Herr Pint,
haben Sie Sich schon einmal gefragt, wieso ein souveräner Staat überhaupt bankrott gehen kann? Hinter dem Staat stehen doch alle Einwohner, die Arbeiter und Angestellten, die Landwirte, die Unternehmer und Selbständigen, die unbezahlt tätigen Hausfrauen und Hausmänner, und das ganze Heer der Ehrenamtlichen. All diese Menschen sind bereit um für ihren Unterhalt zu arbeiten. Jedes Land verfügt über genügend natürliche Ressourcen und über genügend Bereitschaft seiner Einwohner um die physische Existenz der Bevölkerung abzusichern, auch Griechenland! Warum steht Griechenland dann vor dem Bankrott? Doch nur, und da hat Herr Braun vollkommen Recht, weil der griechische Staat nicht sein eigenes Tauschmittel herausgibt und benutzt, sondern weil er sich durch das Geld der privaten internationalen Geschäftsbanken ruinieren lässt!Er müsste also den Euro-Raum sofort verlassen, und seine eigene Währung souverän herausgeben: Das tut er aber nicht, weil die politische "Elite" in Griechenland seit Jahrzehnten in die internationale Plutokratie eingebunden ist
Ganz im Gegenteil würde uns der technische Fortschritt erlauben, nur ein Drittel der Zeit arbeiten zu müssen, um den gleichen Mehrwert zu erarbeiten, wenn, ja wenn, wir uns nicht durch dieses vermaledeite Schuldgeldsystem versklaven ließen! Daran wird sich auch überhaupt Nichts ändern, so lange die Allermeisten von der Geldfrage Nichts wissen wollen und sofort auf "taub" schalten, sobald man dieses Thema anschneiden möchte. Da kann man dann nur noch sagen: Wer nicht hören will muss fühlen, LEIDER!
Vielleicht hat jemand letzte Woche die "Frankfurter Allgemeine"
gelesen. Auf der ersten Seite ein interessanter Artikel zu:
Krisenwährung - und man sprach vom Chiemgauer -
von Regiogeldern -
Auch der Artikel gestern im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" -
"Nachruf auf eine Währung" -
interessant, immer mehr Menschen und auch Journalisten
scheinen diesem Finanzsystem nicht mehr zu vertrauen.
Auch freut es mich sehr, dass ein ECOLO Vertreter die Problematik des Geldsystems erkannt hat, und öffentlich darüber schreibt.
Ich hoffe, dass Herr Braun Rückendeckung in seiner Partei bekommt und weiterhin, klare und deutliche Aussagen hierzu macht. Es scheint einiges in Bewegung zu kommen.
Wie sagte es einst Henry Ford:
“Es ist gut, dass die Bürger der Nation nicht unser Banken- und Geldsystem verstehen, denn wenn sie es würden, glaube ich, gebe es eine Revolution noch vor morgen früh.“