Die Bürger des pleitebedrohten Euro-Landes Portugal haben am Sonntag bei vorgezogenen Wahlen ein neues Parlament gewählt. Allen Umfragen zufolge musste die Sozialistische Partei (PS) des geschäftsführenden Ministerpräsidenten José Sócrates mit einer herben Schlappe und dem Verlust der Macht rechnen. Die oppositionelle liberale Partei der Sozialdemokratie (PSD) von Spitzenkandidat Pedro Passos Coelho lag zuletzt in der Wählergunst mit 36,6 Prozent deutlich vor der PS, die nur auf 31,1 Prozent kam.
Der Präsident der EU-Kommission, der frühere portugiesische Ministerpräsident José Manuel Durão Barroso, sagte am Sonntag nach seiner Stimmabgabe in Lissabon, es handele sich um "die wichtigsten Wahlen seit dem Ende der Diktatur" im Jahr 1974. Im ärmsten Staat Westeuropas waren insgesamt rund 9,6 Millionen Stimmberechtigte aufgerufen, die bis zu 230 Mandate der Lissabonner Versammlung der Republik neu zu vergeben.
Zusammen mit dem rechtskonservativen Demokratischen und Sozialen Zentrum (CDS), dem 11,6 Prozent der Befragten ihre Stimmen geben wollten, war die PSD der absoluten Mehrheit vor dem Urnengang sehr nahe. Eine Koalitionsabsprache zwischen beiden Parteien galt zwar als möglich, lag jedoch bis Sonntag noch nicht vor.
Ins Lissabonner Parlament werden den Umfragen zufolge am Sonntag auch wieder das Bündnis von Kommunisten und Grünen (CDU) mit 7,4 Prozent sowie der Linksblock (BE) mit 6,0 Prozent gewählt werden.
Die Wahllokale sollten im ganzen Land um 19.00 Uhr (20.00 MESZ) geschlossen werden. Da aber der Urnengang auf den Azoren wegen der Zeitverschiebung erst eine Stunde später zu Ende geht, wurden die ersten offiziellen Ergebnisse nicht vor 20.00 Uhr (21.00 MESZ) erwartet.
Die Neuwahlen waren nötig, weil Sócrates im März vor dem Hintergrund der schlimmsten Wirtschaftskrise seit der Nelkenrevolution von 1974 das Handtuch geworfen hatte. Zuvor hatte seine Minderheitsregierung im Parlament keine Mehrheit für das vierte Sparpaket innerhalb von elf Monaten finden können.
Der 53-Jährige "Sonnyboy" Sócrates hatte die Sozialisten 2005 zur absoluten Mehrheit und zum besten Wahlergebnis der Geschichte geführt. Nach mehreren Krisen und Korruptionsaffären in seiner ersten Amtszeit konnten die Sozialisten die Parlamentswahlen von September 2009 nur mit 36,5 Prozent der Stimmen gewinnen.
Staatspräsident Anibal Cavaco Silva muss den neuen Regierungschef nach den Wahlen gemäß Verfassung nach Besprechungen mit allen ins Parlament eingezogenen Parteien bestimmen. Die neue Regierung wird wohl Anfang Juli die Amtsgeschäfte übernehmen. Sie muss dann sofort die mit dem 78 Milliarden Euro schweren Hilfspaket verbundenen Sparauflagen in Gang bringen, die Anfang Mai mit der EU und dem Internationalen Währungsfonds ausgehandelt wurden.
Die Gewerkschaften, linksgerichtete Parteien und zahlreiche Bürgerbewegungen kündigten für die nächsten Monaten weitere Proteste gegen die Sparpläne an. In einem Land, in dem das Mindestgehalt bei 475 Euro liegt und die Arbeitslosenrate bereits das Rekordniveau von 12,5 Prozent erreichte, könne man den Familien keine Opfer mehr abverlangen, warnte Eugenio Fonseca, Präsident von Caritas Portugal.
dpa/rkr/sr - Archivbild: Ricardo Oliveira (epa)