Im heißen Herbst 2006 wollte Viktor Orban das Problem der Rechtsradikalen in Ungarn «mit zwei Ohrfeigen» lösen. Damals war Orban Oppositionsführer an der Spitze der rechtsnationalen Partei Fidesz. Massen von Menschen gingen gegen den sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany auf die Straße und die rechtsradikale Partei Jobbik erstarkte. Heute ist Orban Regierungschef und viele warten noch auf die heilenden «Ohrfeigen».
Hunderte Romas auf der Flucht
Die rassistischen Umtriebe von Extremisten gegen ungarische Roma deuten darauf hin, dass Orban sich verrechnet haben könnte. Jüngstes Beispiel ist das mittelungarische Dorf Gyöngyöspata, wo Hunderte Roma aus Angst vor einem rechtsradikalen Trainingscamp flohen.
Die damalige fast väterliche Strafandrohung des Fidesz-Chefs galt unter anderem dem jungen heutigen Jobbik-Chef Gabor Vona, der nur wenige Jahre vorher als ideologischer Zögling Orbans seine ersten Schritte in die Politik getan hatte. 2006 machten Rechtsradikale und Fidesz-Anhänger noch bei den Protesten gegen Gyurcsany gemeinsame Sache. Doch inzwischen hat sich Vona mit seiner Jobbik emanzipiert und ist aus Orbans Sicht zum ungehorsamen Sohn geworden.
Jobbik sitzt seit einem Jahr im Parlament und drückt dort die Oppositionsbank. Vonas Partei will sich nun offenbar profilieren, indem sie Hass gegen Roma schürt, zumal sich Fidesz sich viele nationalistische Anliegen zu eigen gemacht hat.
Paramilitärische Truppen
Gegen die angebliche Kriminalität der Roma unterstützt Jobbik paramilitärische Truppen, die mit Aufmärschen in Dörfern Angst und Schrecken verbreiten. Die Angst ist umso größer, als 2008 und 2009 eine Gruppe von vier Rechtsradikalen in einer Serie von Anschlägen gegen Roma sechs Menschen töteten - darunter einen Vater mit seinem kleinen Sohn. Die mutmaßlichen Täter stehen gerade in Budapest vor Gericht.
Vor diesem Hintergrund machte sich bei den Roma von Gyöngyöspata Panik breit, als die rechtsradikale paramilitärische Gruppe Vederö ankündigte, am Osterwochenende direkt neben dem dortigen Roma-Viertel Schießübungen abzuhalten. Sie baten das Ungarische Rote Kreuz um Hilfe, um vorsichtshalber Frauen und Kinder in Sicherheit zu bringen. Etwa 300 Roma reisten in sechs Bussen des Roten Kreuzes ab. Im Nachhinein erklärte das Rote Kreuz allerdings, dass es sich dabei um einen länger geplanten Osterausflug gehandelt habe, ohne Zusammenhang mit der Präsenz der Rechtsradikalen vor Ort.
Diese Darstellung hat überrascht, zumal das Rote Kreuz sich schon Wochen vorher mit Hilfsgütern für die Roma von Gyöngyöspata engagiert hatte. Beobachter vermuten, dass die Organisation sich zur politischen Neutralität verpflichtet fühlt und nicht in Ungarns Innenpolitik hineingezogen werden möchte.
Ruhe eingekehrt
In Gyöngyöspata ist vorerst Ruhe eingekehrt, nachdem die Polizei durch Festnahme von acht Mitgliedern der Vederö-Gruppe deren paramilitärische Übung verhindert hat. Doch Jobbiks Bestrebungen, über eine fragwürdige Law-and-Order-Diskussion zu punkten, lassen nicht nach.
Orbans Regierung hat versprochen, es nicht zuzulassen, dass paramilitärische Gruppen das Gewaltmonopol des Staats an sich reißen. Innenminister Sandor Pinter kündigte dazu ein neues Gesetz an, dass der Polizei mehr Macht geben soll. Ob dies die verängstigten Roma von Gyöngyöspata beruhigt? Man darf es bezweifeln.
Kathrin Lauer, dpa - Bild: Tamas Kovacs (epa)