Paukenschlag am Sonntag in Syrien: Nach 48 Jahren hob das Regime von Präsident Baschar al-Assad den Ausnahmezustand auf - bislang die Grundlage für willkürliche Verhaftungen und unumschränkte Durchgriffsrechte der Sicherheitsorgane. Das bestätigte ein Regierungsbeamter der Nachrichtenagentur dpa in Damaskus.
Der Schritt erfolgte vor dem Hintergrund der jüngsten blutigen Unruhen im Land. Dutzende Menschen waren im ganzen Land getötet worden, als Sicherheitskräfte mit Schusswaffen gegen Kundgebungen für politische Reformen und Bürgerrechte vorgingen. Zuletzt starben am Samstag in der Hafenstadt Latakia zwölf Menschen, als Heckenschützen von Hausdächern aus in eine Menge von Demonstranten schossen.
In den vergangenen Tagen hatten Sicherheitskräfte nach Oppositionsangaben wiederholt auf demonstrierende Regimegegner geschossen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hält Berichte über Dutzende Tote allein in der südlichen Provinz Daraa für glaubwürdig. Dort gingen auch am Samstag wieder tausende Menschen auf die Straße. Sie trugen die Toten der vergangenen Tage zu Grabe und verlangten in Sprechchören politische Reformen und bürgerliche Freiheiten. Einige brannten den Sitz der herrschenden Baath-Partei nieder.
Zunächst war unklar, wie weit die Aufhebung des Ausnahmezustands den politischen Alltag im Polizei- und Überwachungsstaat Syrien tatsächlich ändern würde. Frühere Anläufe reformorientierter Kräfte innerhalb des Regimes, die politische Unterdrückung zu lockern, waren in den vergangenen Jahren regelmäßig am Einspruch der mächtigen Hardliner des Sicherheitsapparats gescheitert.
Die Aufhebung des Ausnahmezustands war eine der Hauptforderungen der Pro-Reform-Demonstranten. Er war am 8. März 1963 verhängt worden, als sich die arabisch-nationalistische Baath-Partei an die Macht putschte. Er schränkte die meisten Bürgerrechte stark ein. Insbesondere ermöglichte er willkürliche Verhaftungen und politisch motivierte Prozesse vor Staatssicherheitsgerichten ohne Berufungsmöglichkeit und mit eingeschränktem Rechtsbeistand für die Angeklagten.
dpa/rkr/sr