Muammar al-Gaddafi treibt die Aufständischen im Osten Libyens weiter in die Enge. Immer wieder warfen die Kampfflugzeuge des libyschen Staatschefs am Dienstag ihre tödliche Last über den Rebellenstellungen der Ölstadt Ras Lanuf ab.
Die Aufständischen sprangen in Deckung und warteten ab, bis die Bomben detonierten. Einige Verwegene harrten auf den Pick-up-Wagen aus, auf die sie Luftabwehrkanonen montiert hatten. Ihre Versuche, die hoch über ihnen kreisenden Maschinen abzuschießen, blieben jedoch ohne Erfolg.
In der Nacht zum Montag hatten die Rebellen das 40 Kilometer westlich gelegene Bin Dschawad vor den mit Panzern anrückenden Gaddafi-Truppen räumen müssen. In Ras Lanuf ist die Front vorerst verhärtet. Auch rund um die von der Regime-Armee belagerten Städte im Westen Libyens, Misurata und Al-Sawija, gab es zuletzt keine Verschiebung der Kampflinien.
Für die Menschen dort ist es die Hölle: Ihre Häuser werden von der Artillerie der Regime-Armee beschossen, in den Krankenhäusern gehen Medikamente und Betäubungsmittel zur Neige. Anders als im Osten Libyens gibt es in den eingeschlossenen Städten des Westens keine Journalisten und Fernsehkameras. Mit Handy-Kameras angefertigte und ins Internet gestellte Kurzfilme lassen das Ausmaß an Leid und Zerstörung nur erahnen. In Misurata kamen allein bis zum Montag nach Angaben der Verteidiger 92 Menschen - Kämpfer und Zivilisten - ums Leben, 400 weitere wurden verletzt.
Geheime Verhandlungen?
Der Stellungskrieg der letzten Tage erweckt den Eindruck, dass ein baldiges Ende der Herrschaft von «Bruder Führer» - wie sich Gaddafi gerne nennen lässt - nicht in Sicht ist. Zugleich wird aber die Luft um den Diktator immer dünner. Am Dienstag wurde bekannt, dass zwei Weggefährten aus Gaddafis Jugendjahren unter Hausarrest gestellt wurden. Verteidigungsminister Abu Bakri Junis und der langjährige Geheimdienstchef Mustafa al-Charubi wollten die brutale Kampagne gegen die Zivilbevölkerung nicht mehr mitmachen, hieß es in Tripolis.
Sowohl Junis als auch Al-Charubi gehörten jener revolutionären Zelle an, mit der sich Gaddafi vor 42 Jahren unblutig an die Macht geputscht hatte. Aber auch der Chef der provisorischen Gegen-Regierung in Bengasi ist ein Gaddafi-Abtrünniger. Mustafa Abdul Dschalil war bis zu seinem «Seitenwechsel» im Vormonat Libyens Justizminister.
Sucht der Herrscher, der noch am Sonntag auf dem Grünen Platz in Tripolis inmitten von Jublern und Schüssen den «Sieg» feiern ließ, den Ausweg ins Exil? Gerüchte über ein angebliches Verhandlungsangebot an die Gegen-Regierung in Bengasi wurden vom Staatsfernsehen dementiert. Doch hinter den Kulissen gibt es Bewegung.
So soll sich der ehemalige Ministerpräsident Dschadallah Asus al-Talhi in Telefonaten mit alten Freunden in Bengasi als Vermittler angeboten haben. Gaddafi soll demnach im Gegenzug für Straffreiheit und Bewahrung seines Vermögens den Rücktritt und Abgang ins Exil in Aussicht gestellt haben. Zuvor hatte Al-Talhi am Montagabend im Staatsfernsehen einen dramatischen Appell an die Rebellen gerichtet, das Land nicht in eine «Tragödie» abgleiten zu lassen und einer «ausländischen Intervention» Tür und Tor zu öffnen.
Doch die Rebellen konterten mit einem Ultimatum. Gaddafi müsse nicht nur das Land innerhalb von 72 Stunden verlassen, sondern zuerst einmal die brutalen Angriffe gegen die Zivilbevölkerung beenden. Trotz aller Siegesrhetorik und Durchhalteparolen suche Gaddafi nach einem Fluchtweg, meinte der libysche Dissident und Journalist Aschur Schamis am Dienstag. «Das Regime wird diese Situation nicht lange durchstehen können», befand er.
EU verschärft Libyen-Sanktionen
Die Vertreter der 27 EU-Regierungen einigten sich am Dienstag in Brüssel darauf, das Vermögen von fünf libyschen Finanzunternehmen einzufrieren.
Zugleich stellte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso eine neue «Partnerschaft für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand» vor. Sie soll politische Reformen im südlichen Mittelmeer fördern. Sowohl Hilfen als auch Sanktionen sollen am Freitag von den Staats- und Regierungschefs bei einem Sondergipfel in Brüssel beschlossen werden.
Zu den Finanzunternehmen, deren Vermögen in der EU eingefroren werden sollen, gehört nach Angaben von EU-Diplomaten die Libysche Investment Behörde (LIA), die in mehreren EU-Staaten und in den USA an Firmen beteiligt ist. Außerdem wurde der österreichische Staatsbürger Mustafa Zarti einer Liste von bisher 26 Führungsgestalten um Muammar al-Gaddafi hinzugefügt. Auch sein Vermögen wird eingefroren. Da der als «Strohmann» Gaddafis geltende Zarti einen EU-Pass hat, darf er - anders als die 26 anderen - sich jedoch in der EU aufhalten.
«Unser Platz ist an der Seite jener, die politische Freiheit und Menschenwürde verlangen», sagte Barroso am Dienstag vor dem Europaparlament in Straßburg. Die Partnerschaft soll den demokratischen Wandel fördern, beispielsweise den Aufbau von Institutionen sowie die Achtung der Menschenrechte und Justizreformen. Die Zivilgesellschaft soll gestärkt werden: Vor allem junge Menschen sollen mehr Kontakte zu EU-Bürgern bekommen. Schließlich soll auch die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen für Jugendliche in Klein- und Mittelbetrieben unterstützt werden.
Libyen erneuerte die Bereitschaft, Beobachter der Vereinten Nationen und der Europäischen Union ins Land zu lassen. «Wir werden sie eskortieren, wir werden sie beschützen und sie werden die Möglichkeit haben, überall hinzugehen», zitierte ein hochrangiger EU-Diplomat am Dienstag einen Regierungsvertreter aus Tripolis. Die libysche Staatsführung habe in Gesprächen zugesichert, dass eine Untersuchungsmission sofort mit der Arbeit beginnen könne.
Gregor Mayer und Dieter Ebeling (dpa) - Bild: Kim Ludbrook (epa)