Regierungstruppen und Aufständische kämpfen in Libyen erbittert um strategisch wichtige Städte. Dabei wird die Lage an den Brennpunkten immer unübersichtlicher. In Al-Sawija, 50 Kilometer westlich von Tripolis, wechselte die Front am Sonntag binnen Stunden mehrmals hin und her.
Die Streitkräfte von Staatschef Muammar al-Gaddafi griffen die Stadt nach einem Bericht des Nachrichtensenders Al-Dschasira von Flugzeugen aus und mit Artillerie an. Gaddafi-Anhänger feierten in Tripolis den angeblichen «Sieg» über die Rebellion. Aufständische und Augenzeugen widersprachen dieser Darstellung.
Gaddafi-Truppen drangen auch nach Misurata, 210 Kilometer östlich von Tripolis, vor und lieferten sich dort mit Rebellen Häuserkämpfe. Ein von den Regimegegnern in Bengasi gebildeter Nationalrat rief die internationale Gemeinschaft auf, eine Flugverbotszone in Libyen einzurichten. Nur so könnten Zivilisten vor den Bomben des Diktators geschützt werden. Eine Bodenintervention ausländischer Streitkräfte lehnte der Rat aber strikt ab.
Gaddafi forderte eine Untersuchung des Aufstandes gegen sein Regime durch eine Kommission der UN oder der Afrikanischen Union. «Wir werden eine solche Gruppe ungehindert arbeiten lassen», sagte er der französischen Sonntagszeitung «Journal du Dimanche». Zugleich machte er, wie schon bisher, «Terroristen» für die Rebellion verantwortlich.
Ausländische Beobachter
Unterdessen reisten westliche Diplomaten ins Land, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Im Osten des Landes nahmen britische Diplomaten erstmals Kontakt zu den Aufständischen auf. Dabei wurden allerdings nach einem Bericht der «Sunday Times» bis zu acht Elitesoldaten, die diese Diplomaten eskortiert hatten, von Rebellen gefangen genommen.
Zur Vorbereitung des Libyen-Sondergipfels am kommenden Freitag schickte die Europäische Union am Sonntag ein internationales Erkundungsteam in Richtung Tripolis. Die Gruppe soll in den nächsten Tagen prüfen, wie die 27 EU-Staaten weitere Unterstützung für die Menschen im Land leisten können.
Widersprüchliche Meldungen
Mit Freudenschüssen und einem Aufmarsch auf dem Grünen Platz in Tripolis feierten mehrere tausend Regimeanhänger vermeintliche Erfolge der Regierungstruppen. Sie hielten Bilder des Diktators in die Höhe und riefen: «Gott, Muammar und Libyen!». Das Staatsfernsehen hatte am Morgen die angebliche Rückeroberung der umkämpften Städte Al-Sawija, Misurata und Ras Lanuf und sogar die des tief im Rebellenland gelegenen Tobruk gemeldet. Zudem hieß es, die Regierungstruppen seien auf dem Vormarsch zur Hafenstadt Bengasi.
Ein Mitglied des Nationalrats von Misurata sagte dagegen Al-Dschasira, die Gaddafi-Gegner hätten die Stadt weiter fest in ihrer Hand. Später gingen die Streitkräfte jedoch massiv gegen die Rebellen vor. Augenzeugen berichteten der Nachrichtenagentur dpa von erbitterten Nahkämpfen vor allem in einer Stahlfabrik. Aufständische griffen die Panzer der Regimetruppen an. Krankenhausärzte zählten mindestens drei Tote und Dutzende Verletzte.
Im östlichen Ölhafen Ras Lanuf, den die Rebellen in der Nacht zum Samstag erobert hatten, versuchte das Regime durch Luftangriffe Terrain wettzumachen. Ein französischer Reporter wurde dabei verletzt, berichtete ein Augenzeuge. Die Aufständischen zogen sich zunächst zurück, setzten dann aber ihren Vormarsch weiter nach Westen fort. Im westlich gelegenen Bin Dschawwad lieferten sie sich heftige Gefechte mit den Gaddafi-Truppen, berichtete eine Reporterin von Al-Dschasira. Der ganze östliche Landesteil von Ras Lanuf über Bengasi bis zur ägyptischen Grenze wird nach übereinstimmenden Berichten von Augenzeugen und Reportern weiter von Gaddafi-Gegnern kontrolliert.
Vom libyschen Regime werden drei niederländische Marineflieger festgehalten. Sie hatten Mitte der Woche versucht, zwei Landsleute aus der Gaddafi-Hochburg Sirte auszufliegen und waren dabei von Regierungstruppen gefangen genommen worden. Sie werden jetzt der Spionage bezichtigt.
Hilfsmaßnahmen
Drei Schiffe der deutschen Marine legten in der Nacht zum Sonntag im tunesischen Hafen Gabes ab und nahmen Kurs auf die ägyptische Hafenstadt Alexandria. Wie das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam mitteilte, befinden sich an Bord der Fregatten «Brandenburg» und «Rheinland-Pfalz» sowie des Versorgers «Berlin» insgesamt 412 ägyptische Gastarbeiter. Der Bundeswehreinsatz ist Teil einer internationalen Hilfsaktion zur Bewältigung des Flüchtlingsstroms aus Libyen.
Ein Flugzeug der belgischen Armee ist am Vormittag von Melsbroek aus nach Djerba in Tunesien geflogen. Der Airbus soll ab morgen an einer Luftbrücke der EU teilnehmen und vor allem Ägypter, die aus Libyen geflohen sind, in ihr Heimatland bringen. Die Luftbrücke soll fünf Tage lang im Einsatz sein.
Das Rote Kreuz plant Hilfslieferungen in die Krisenregion. 37 Tonnen an Hilfsgütern sollen in das Grenzgebiet zwischen Libyen und Tunesien gebracht werden. Es handelt sich unter anderem um Zelte, Decken und Lebensmittel. Dadurch sollen die internationalen Aktionen für die Flüchtlinge unterstützt werden.
Martin Fischer, Jutta Lauterbach und Günther Chalupa (dpa) - Bild: Tiago Petinga (epa)