Es war ein schwarzer Tag, sagt Abt Nikodemus Schnabel über den 7. Oktober, den Tag, an dem die Hamas Israel überfallen hat. Aber auch der 19. Oktober, der israelische Luftangriff auf Gaza, sei ein Alptraum gewesen. Und jetzt fürchten alle Israels Bodenoffensive in Rafah.
Der Benediktinermönch lebt in Jerusalem. Sein Kloster, die Dormitio-Abtei, liegt auf dem Berg Zion, unmittelbar neben der Altstadt mit den heiligen Stätten der Christen, Juden und Muslime und zwischen den Fronten des Nahostkonflikts. Ein "Ozean von Leid", beschreibt der 45-Jährige die Situation auf beiden Seiten, und deshalb kann und will er auch nicht Partei ergreifen.
"Ich bin weder pro Israel noch pro Palästina. Ich bin pro Mensch. Weil wir als Christen auf beiden Seiten präsent sind", sagt er. "Wir haben Christen, die Arabisch als Muttersprache haben, Christen, die Hebräisch als Muttersprache haben. Wer als Christ denkt, er muss sich einseitig positionieren, fällt immer einem Teil seiner Glaubensgeschwister in den Rücken. Es verbietet sich für mich, mich auf eine Seite zu schlagen."
Unsichtbares Leid
Abt Nikodemus hat letzten Sonntag seine Gemeinschaft in Jerusalem für eine Woche verlassen, ungern, wie er sagt, aber er sieht sich in der Pflicht, um internationale Solidarität zu bitten und auf eine oft vergessene Gruppe im Nahostkonflikt aufmerksam zu machen: die Minderheit der Christen.
"Die einheimischen Christen sind traditionell beschäftigt als Hoteliers, Busfahrer, Reiseleiter oder Souvenirshopbesitzer. Die sind seit einem halben Jahr arbeitslos", erklärt Nikodemus Schnabel. "Es gibt Christen in der Westbank, in Bethlehem, die seit einem halben Jahr keine Einnahmen haben, die ökonomisch in eine absolute ungewisse Zukunft schauen, die kein Weihnachts- und kein Ostergeschäft hatten. Das ist das unsichtbare Leid, wo es keine dramatischen Bilder gibt."
30 lokale Mitarbeiter beschäftigt die Dormitio-Abtei. In Friedenszeiten haben sie genug zu tun, kommen doch an guten Tagen bis zu 5.000 Pilger ins Kloster. Jetzt bleiben die Besucher wegen des Krieges und der aktuellen Reisewarnung weg.
"Ich bezahle sie momentan fürs Nichtstun. Einer putzt zum Beispiel die Pilgertoiletten. Die braucht gerade keiner. Ich habe jemanden, der in der Cafeteria steht. Wenn der Tag gut läuft, verkauft er vier Cappuccino. Damit kriege ich nicht einmal die Stromrechnung der Cafeteria bezahlt. Es gibt keine Kurzarbeit wie in Europa. Wenn ich diese Menschen entlasse, stoße ich sie mit ihren Familien in die Armut und mache sie zu Bettlern. Mein Gott wird mich später nicht fragen, wie hast du für deine Altersversorgung gesorgt, sondern, wie hast du Solidarität gelebt im Krieg."
Zeichen setzen
Als die Europäer nach dem Anschlag der Hamas aufgefordert wurden, das Land zu verlassen, haben Abt Nikodemus und seine Brüder sich entschieden zu bleiben. "Alle meine Mitbrüder haben gesagt: Ja, hier gehören wir hin zu diesem Heiligen Land. Wir nehmen den Auftrag ernst, was bedeutet das im Krieg Mönch zu sein im Heiligen Land. Ich kann stolz sagen: Wir hatten nicht einen Tag unsere Kirche zu, nicht einen Tag unsere Cafeteria zu. Wir sind da, und viele Einheimische, Juden, Christen und Muslime, sagen: 'Wow, das ist ein Zeichen, dass ihr hier bleibt'."
Die Mönche sind nicht nur einfach geblieben. Sie haben auch öffentliche Zeichen in Jerusalem gesetzt. "Wir hatten ein Benefizkonzert für die Friedensaktivistin Viviane Silver, die von der Hamas am 7. Oktober ermordet wurde. In der Adventszeit haben wir ein Oratorium aufgeführt, zu dem Juden, Christen und Muslime gemeinsam kamen. Die Kirche war voll. In Tabgha haben wir acht Wochen lang ein jüdisches Dorf mit Behinderten aufgenommen, weil die zu dicht am Gazastreifen gewohnt haben. So versuchen wir konkret zu schauen, wo können wir helfen."
Wachsende Gewaltbereitschaft
Abt Nikodemus lebt seit 20 Jahren in Jerusalem. Seine Erfahrung: Es gibt dort viele Menschen unterschiedlicher Herkunft, die sich respektieren und zusammen leben wollen. Auch wenn radikale Kräfte, das verhindern wollten. Dazu gehöre nicht nur die Hamas.
"Wir haben zum ersten Mal bekennende Rechtsradikale und Christenhasser in der israelischen Regierung", sagt Nikodemus Schnabel. "Natürlich gibt es keine Christenverfolgung in Israel. Aber es gibt eine wachsende Gewaltbereitschaft und Christenhass unter jüdischen Extremisten, den Hooligans der Religion. Und ich wäre dankbar, wenn Israel dieses Phänomen klar adressiert."
Hoffnung auf Zusammenleben
Die Trennlinie im Heiligen Land sieht Abt Nikodemus nicht zwischen den unterschiedlichen Völkern und Religionen, sondern zwischen denen, die an ein Zusammenleben glauben und den anderen, die Hass und Zwietracht säen. "Menschen, die aufräumen wollen und sagen: Jerusalem muss rein muslimisch, rein jüdisch oder rein christlich sein in einem dualistischen Freund-Feind-Denken. Das sind auch die Menschen, die uns hassen, wie wir das von jüdischen Extremisten erleben, die mich anspucken, Fensterscheiben einschlagen und Hass-Graffitis auf unsere Kirchenmauern sprühen", sagt Abt Nikodemus.
"Aber es gibt eben auch wunderbare Menschen aller drei Religionen, die Lust haben auf eine Zukunft mit Jerusalem als einer Stadt von universaler Bedeutung, die dafür stehen, dass wir nur gemeinsam gewinnen und das Zusammen den Zauber dieser Stadt ausmacht."
Abt Nikodmeus wird nicht müde, über seine persönlichen Erfahrungen und Perspektiven zu berichten und damit einen Gegenpol zu setzen zu den alltäglichen Nachrichten über Hass und Gewalt. Am Sonntag reist er wieder zurück nach Hause, nach Jerusalem.
Michaela Brück
Von solchen Menschen brauchen wir mehr, VIEL mehr in der heutigen Zeit der Rückkehr zu eigenen Stammesbrüdern die sich gegenseitig hassen und vernichten wollen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit ihrem Kampf in Israel für eine demokratische und offene Gesellschaft.