Der Iran hat seine Drohung wahr gemacht und den erklärten Erzfeind Israel erstmals direkt angegriffen. Bei dem Großangriff in der Nacht von Samstag auf Sonntag feuerte der Iran nach Angaben des israelischen Militärs rund 300 Drohnen und Raketen ab.
99 Prozent der Geschosse aus dem Iran habe Israels Militär abgefangen. Nur eine kleine Anzahl von Raketen sei auf israelischem Gebiet eingeschlagen. Teheran habe "mehr als 300 Bedrohungen verschiedener Art losgeschickt", sagte ein israelischer Armeesprecher.
Todesopfer oder größere Schäden gab es den Angaben zufolge nicht. Ein Kind wurde aber schwer verletzt.
Es habe auch Angriffe aus dem Irak und dem Jemen gegeben, aber sie hätten Israel nicht erreicht, sagte der Sprecher. Dutzende Raketen seien vom Libanon auf den Norden Israels gefeuert worden. Dabei sei niemand verletzt worden.
Wegen des iranischen Angriffs war in der Nacht an verschiedenen Orten in Israel Raketenalarm ausgelöst worden. Nach Angaben des Weißen Hauses konnte Israel auch dank der Mithilfe des US-Militärs "nahezu alle anfliegenden Drohnen und Raketen abfangen".
Nach einigen Stunden gab Israels Heimatschutz schließlich vorerst Entwarnung. Der israelische Luftraum ist am Morgen wieder geöffnet worden. Der internationale Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv funktioniere wieder normal, berichteten israelische Medien. In der Nacht waren wegen des Angriffs verschiedene Flüge gestoppt worden. Der Luftraum war sieben Stunden lang geschlossen. Der Flughafen Ramon im Süden solle vorerst weiter geschlossen bleiben, hieß es.
Iran warnt Israel vor Gegenangriffen
Der Iran hat Israel vor einem Gegenangriff gewarnt. "Sollte Israel erneut einen militärischen Angriff durchführen, wird die Antwort des Irans mit Sicherheit stärker und entschlossener ausfallen", zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Irna aus einem Schreiben an UN-Generalsekretär Guterres.
Den Großangriff mit Drohnen, Marschflugkörpern und Raketen auf den Erzfeind Israel verteidigte der Iran als Vergeltungsschlag, nachdem am 1. April bei einem mutmaßlich israelischen Angriff auf Irans Botschaftsgelände in Syrien zwei ranghohe Generäle getötet worden waren.
Ob Israel mit einem Gegenangriff reagieren wird, ist noch offen. Israels Verteidigungsminister Galant hatte am Freitag erklärt, dass ein direkter iranischer Angriff eine angemessene israelische Antwort erfordern werde.
Benny Gantz, der dem israelischen Kriegskabinett angehört, sagte, er hoffe auf die Bildung einer regionalen Koalition gegen die iranische Bedrohung. Man werde dafür sorgen, dass der Iran den Preis für seinen Angriff auf Israel zahlen werde, "wie und wann es uns passt", so Gantz wörtlich.
Italien beruft G7-Treffen ein
Italien hat ein Treffen der G7-Gruppe einberufen. Die Staats- und Regierungschefs der sieben führenden demokratischen Industriestaaten sollen am frühen Sonntagnachmittag zu einer Videoschalte zusammenkommen, um über Teherans Angriff zu diskutieren, hieß es in einer Mitteilung. Italien führt derzeit den Vorsitz in der G7-Gruppe.
Der UN-Sicherheitsrat in New York plant voraussichtlich noch am Sonntag eine Sondersitzung.
Guterres: Reale Gefahr verheerender Eskalation
UN-Generalsekretär Guterres sieht das Risiko einer katastrophalen Zuspitzung der Lage in Nahost. Er sei zutiefst beunruhigt über die sehr reale Gefahr einer verheerenden Eskalation in der gesamten Region.
Er fordere alle Parteien auf, größtmögliche Zurückhaltung zu üben, um Maßnahmen zu vermeiden, die zu größeren militärischen Konfrontationen an mehreren Fronten im Nahen Osten führen könnten, teilte Guterres in New York. Er verurteilte den Angriff des Irans "aufs Schärfste" und forderte eine sofortige Einstellung der Feindseligkeiten.
Borrell: "Beispiellose Eskalation"
EU-Chefdiplomat Borrell hat den "inakzeptablen iranischen Angriff gegen Israel" ebenfalls scharf verurteilt. "Dies ist eine beispiellose Eskalation und eine ernste Bedrohung für die regionale Sicherheit", hat Borrell im Namen der Staatengemeinschaft mitgeteilt.
Man appelliere an alle Parteien, äußerste Zurückhaltung zu üben. In dieser äußerst angespannten regionalen Situation könne eine weitere Eskalation in niemandes Interesse sein, so Borrell weiter.
In dem Statement bekräftigte er weiterhin das Engagement der Europäischen Union für die Sicherheit Israels. Er habe mit dem iranischen Außenminister gesprochen, um ihm diese Botschaften zu übermitteln und ihn aufzufordern, nicht weiter zu eskalieren, hat Borrell auf der Plattform X geschrieben.
Auch EU-Ratspräsident Charles Michel verurteilte den Angriff des Irans. Es müsse alles getan werden, um eine weitere regionale Eskalation zu verhindern, schrieb Michel auf X. "Ein weiteres Blutvergießen müsse vermieden werden."
Am Dienstag findet ein außerordentliches Treffen der EU-Außenminister statt.
Biden telefoniert mit Netanjahu
US-Präsident Biden hat noch in der Nacht mit Israels Ministerpräsident Netanjahu telefoniert. Wie das Weiße Haus mitteilte, habe Biden den iranischen Angriff "auf das Schärfste" verurteilt und das "eiserne Bekenntnis" der USA zu Israels Sicherheit bekräftigt. Wie der Sender CNN berichtete, habe Biden zugleich klargemacht, dass sich die USA nicht an "offensiven Operationen gegen den Iran beteiligen" würden.
Für Sonntag kündigte Biden ein Treffen der G7-Gruppe wirtschaftsstarker Demokratien an, um eine gemeinsame diplomatische Reaktion auf den Angriff des Iran zu koordinieren.
Irans Revolutionsgarden richteten unterdessen eine scharfe Drohung an die USA. "Jede Unterstützung und Beteiligung an der Beeinträchtigung der Interessen Irans" werde eine entschiedene Reaktion der iranischen Streitkräfte nach sich ziehen, hieß es in einer Erklärung der Revolutionswächter, die in der Nacht im Staatsfernsehen verlesen wurde.
London schickt zusätzliche Kampfjets nach Nahost
Großbritannien schickt als Reaktion auf die iranischen Angriffe gegen Israel weitere Kampfflugzeuge in die Region. Die Jets und Betankungsflugzeuge würden die bereits entsandten Kräfte verstärken, die in der Gegend gegen die Terrororganisation IS im Einsatz sind, teilte der britische Verteidigungsminister Shapps in der Nacht mit.
Diese Jets würden bei Bedarf alle Luftangriffe innerhalb der Reichweite unserer bestehenden Missionen abfangen. Großbritannien betreibt eine Luftwaffenbasis auf Zypern.
dpa/belga/afp/rop/fk